Kein Versorgungsvertrag ohne „Tarifbindung“

Versorgungsverträge dürfen ab dem 1. September 2022 nur noch mit ambulanten und (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, wenn diese ihren Arbeitnehmern in der Pflege oder Betreuung eine Entlohnung zahlen, die einem regional üblichen Tarifvertrag entsprechen, (§ 72 Abs. 3b SGB XI).

Für tarifgebundene Einrichtungen wird sich nicht viel ändern.

Probleme können bei freien ambulanten Pflegediensten und (teil-) stationären Pflegeheimen auftreten, wenn diese noch keine Entlohnung entsprechend eines echten Tarifvertrages zahlen.

Als vergleichbare Tarifverträge kommen grds. nur „echte“ Tarifverträge in Betracht, welche nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) zwischen einem Arbeitgeberverband bzw. einem Arbeitgeber (Haustarifvertrag) einerseits und einer Gewerkschaft andererseits vereinbart werden. „Alternative“ Tarifverträge wie vom bpa oder nur einseitig vom Arbeitgeber vorgegebene „Haustarife“ oder „Allgemeine Vertragsrichtlinien (AVR) die nicht dem TVG entsprechen, sind nicht ausreichend.

Wichtig ist, dass weiterhin eine echte Tarifbindung von nicht tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen nicht gefordert wird.

Pflegedienste und Pflegeheime können sich einen Tarifvertrag aussuchen, den sie auch wechseln können. Es muss sich nur an die Entlohnung, nicht aber an sonstige Regelungen (z.B. Urlaub, Kündigungsfristen) angepasst werden.

Die Pflegekassen sind verpflichtet, in einem Register die Tarifverträge und sich daraus ergebenden Tarifgehälter zu veröffentlichen, die in der Region angewendet werden (Tarifübersicht). Im Rahmen der Veröffentlichung wurden regionale tarifliche Durchschnittsentgelte veröffentlicht, die bis zu 10% gesteigert werden können, ohne das dies als unwirtschaftlich zurückgewiesen werden könnte.

Jede Pflegeeinrichtung war verpflichtet, bis zum 30. April 2022 mitzuteilen, an welchen Tarifvertrag sie sich anlehnen oder ob sie  Durchschnittsentgelte zahlen möchte. Die Mitteilung gilt gleichzeitig als Antrag auf Änderung des Versorgungsvertrages. Dem kann jedoch mit einem Widerspruch entgegnet werden, was durchaus sinnvoll sein kann. Die ersten Pflegesatzverhandlungen haben gezeigt, dass die Kostenträger sehr restriktiv Tarifentgelte genehmigen, so dass eine echte Umsetzung von tariflichen Entgelten kaum möglich ist. Das Ergebnis der Pflegesatzverhandlungen sollte deshalb bei der Erklärung nach §72 SGB XI eingebracht werden.

Zusammen mit den völlig unklaren Entwicklungen bei den Sachkosten, bedeutet dies alles viel Arbeit, zumal die Pflegekassen mit den Veröffentlichungen im Verzug waren. Die angekündigte Nachweisrichtlinie wird voraussichtlich erst im Juli 2022 vorgelegt werden, also zu einem Zeitpunkt, an dem fast alle Pflegesatzverhandlungen schon vorbereitet und eingeleitet worden sein mussten.

Nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtungen mussten bzw. müssen jedenfalls rechtzeitig entscheiden, an welchen Tarifvertrag oder Durchschnittsentgelten sie sich orientieren wollen.

Liegt eine Entscheidung vor, welche Tariflöhne gezahlt werden sollen, muss dies bereits ab jetzt in den Pflegesatzverhandlung  berücksichtigt werden. Nach Auffassung der Kostenträger, ist eine außerordentliche Nachverhandlung zum 01.September 2022 nicht möglich.

Im Rahmen der bevorstehenden Pflegesatzverhandlungen wird dann sehr genau zu prüfen sein, wie die Pflegeeinrichtung ihr internes Vergütungssystem an die neue Refinanzierung anpasst. Dabei sind sicherlich die Gestaltungsspielräume der Tarifverträge, z.B. bei den Eingruppierungen und Einstufungen zu berücksichtigen.

Gerade für ambulante Pflegedienste mit niedrigen Punktwerten oder Zeitvergütungen, aber auch für stationäre Pflegeeinrichtungen mit niedrigen Pflegesätzen, werden die Tariflöhne eine existenzielle Herausforderung darstellen, da mit zu niedrigeren Vergütungs- bzw. Pflegesatzvereinbarungen die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllt werden können und dadurch entweder die Insolvenz oder Kündigung des Versorgungsvertrags droht.

Praxistipp:

Alle nicht tarifgebundenen ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sollten  genau prüfen, an welchen Tarifvertrag sie sich anlehnen wollen. Diese Entscheidung musste bis zum 30. April 2022  den Pflegekassen gemeldet werden. Ist die Entscheidung gefallen, ist diese bei den Pflegesatzverhandlungen durchzusetzen. Erst danach ist das betriebliche Vergütungssystem anzupassen, wobei die arbeitsrechtlichen Vorgaben dringend zu berücksichtigen sind.

Erscheint die bereits getroffene Wahl als suboptimal, kann ggf. durch einen Widerspruch bei noch nicht begonnenen bzw. laufenden Pflegesatzverhandlungen eine Änderung erreicht werden. Ggf. sind die Kalkulationsgrundlagen für die nächsten Pflegesatzperiode zu ändern.

Bei dieser Tätigkeit sollten Sie sich professionell beraten lassen, da Versäumnisse und Fehlkalkulationen die Existenz Ihrer Einrichtung bedrohen können.

Zusätzliche Informationen:

  1. Überblick
  2. Förderung Personalkonzepte
  3. Eigenanteil-Leistungszuschuss
  4. Tarifbindung
  5. Personalschlüssel
  6. Zeitplan