Neue Tendenz zu „freien Mitarbeitern“ in der Pflege
Das BSG hat in einer Entscheidung vom 04.06.2019 eine als Anästhesieärztin tätige Honorarkraft als Arbeitnehmerin eingestuft, weil sie in den Krankenhausbetrieb eingegliedert gewesen sei. Diese Entscheidung dürfte erhebliche Auswirkungen auf eine Verhandlung über den Status von Pflegekräften in stationären Pflegeeinrichtungen haben, die am Freitag, den 07.06.2019, in Kassel stattfinden wird.
In dieser 23. KW wird das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel wichtige Weichen für die Personalsituation in Pflegeheimen stellen.
Im Rahmen eines Komplexes von 17 Statusverfahren prüft derzeit das BSG, ob Honorarärzte und Honorarpflegekräfte selbständig in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen tätig sein können.
Im Wesentlichen stehen sich die Argumente der Befürworter, wonach die Honorarkräfte keinen „wesentlichen“ Weisungen unterworfen sind und sich die Tätigkeit im Krankenhaus oder in der Pflegeeinrichtung aus der „Natur der Sache“ ergibt, den Argumenten der deutschen Rentenversicherung (DRV) gegenüber, die kein ausreichendes Unternehmerrisiko und eine starre Eingliederung in den jeweiligen Betrieb sieht.
Während in der Vergangenheit das BSG den sog. „Soloselbständigen“ die Dienstleistungen erbringen erheblich den „Rücken gestärkt“ hatte, weil bei diesen Dienstleistern das Unternehmerrisiko und die Vereinbarung eines festes Stundensatzes als wesentliche Kriterien zurücktreten würden, scheint das erste Verhandlungsergebnis vom 04.06.2019 (Az. B 12 R 11/18 R) alle Befürchtungen der Honorarkräfte wahr werden zu lassen.
Entschieden wurde der Status einer Honorarärztin, die in einem Krankenhaus als Anästhesiekraft tätig war. Zuvor holte das BSG noch Stellungnahmen von Berufsverbänden ein, um die Frage zu klären, welche Zusammenhänge es zwischen dem Personalmangel in der Gesundheitsbranche und der freiberuflichen Tätigkeit gebe.
Das Verhandlungsergebnis vom 04.06.2019 ist ziemlich eindeutig. Die Honorarärztin wurde als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerin eingestuft. Ausschlaggebend war nach Auffassung des BSG die Eingliederung in den Stationsbetrieb:
So sei bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig eine solche Eingliederung gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrsche, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss hätten. So seien Anästhesisten bei einer Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten und sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen müssen. Hinzu käme, dass Honorarärzte ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses bei ihrer Tätigkeit nutzten. Die Honorarärztin sei deshalb wie andere angestellte Ärzte vollständig in den Betriebsablauf des Krankenhauses eingegliedert. Unternehmerische Entscheidungsspielräume seien bei einer solchen Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe sei nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und vorliegend nicht ausschlaggebend.
Von besonderer Bedeutung ist zudem folgende Klarstellung.
Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hat keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht können nicht außer Kraft gesetzt werden, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.
Am kommenden Freitag, den 07.06.2019, steht nun die Verhandlung über eine Honorarpflegekraft in einer stationären Pflegeeinrichtung an. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Entscheidung ist kaum noch damit zu rechnen, dass das BSG solche Pflegekräfte in stationären Einrichtungen als freie Mitarbeiter einstufen wird. Zwar könnte man als „Dogmatiker“ noch feine Unterschiede zwischen den Ärzten, die an Operationen teilnehmen, und Pflegefachkräften, die ggf. allein einen Wohnbereich zu betreuen haben, finden, jedoch tuen sich die Sozialgerichte bei solchen feinen Abgrenzungen regelmäßig schwer, zumal sie auch vom Gesetzgeber ziemlich im Stich gelassen werden.
Zwar sind die Entscheidung am Freitag und die ausführlichen Urteilsgründe noch abzuwarten, jedoch ist von einer ähnlichen Entscheidung wie bei den Honorarärzten auszugehen.
Für die Pflegepraxis sind die Auswirkungen in jedem Fall dramatisch. Sind freie Mitarbeiter in der stationären Pflege nicht mehr möglich, werden diese Mitarbeiter entweder in die ambulante Pflege, die private Familienpflege bzw. in die Zeitarbeit abwandern oder den Pflegeberuf aufgeben. Eine Rückkehr in ein Anstellungsverhältnis dürfte für diese Pfleger, die sich häufig bewusst für die Verdienstmöglichkeiten und Freiheiten einer Selbständigkeit entschieden haben, nur selten in Betracht kommen. Damit wird es für die stationären Pflegeeinrichtungen noch schwieriger werden, die Fachkraftquote und den Versorgungsauftrag zu erfüllen. Die Folge werden noch höhere Zeitarbeitskosten, höhere Pflegesätze und Aufnahmestopps sein.
Wenn die Bekämpfung des Personalmangels in der Pflege nicht nur ein Lippenbekenntnis der Politik sein soll, ist der Gesetzgeber am Zug. Wenn Pflegekräfte ihre Dienstleistung als selbständig Tätige anbieten wollen, um selbst flexibel über ihre Einsatzzeiten, Einsatzorte und ihre Verdienstmöglichkeiten zu entscheiden, sollte der Gesetzgeber dies unter Wahrung der verfassungsrechtlich garantierten freien Berufswahl ermöglichen. Gerne auch mit einer verbindlichen Rentenversicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, besser noch in einem zu schaffenden Versorgungswerk für alle Pflegekräfte.