Seminar-Aktuelles Pflegerecht am 18.04.2023

RA Kälble hält am 18.04.2023 in der Zeit von 13.00 bis 16.00 Uhr bei der Arbeitsgemeinschaft Privater Heime und Ambulanter Dienste Bundesverband e.V., Karlsruher Str. 2B, 30519 Hannover, ein Seminar zum Aktuellen Pflegerecht. Hier ist der Ausschreibungstext:

Gerade in den letzten Monaten überschlagen sich die Änderungen im Pflegerecht. Um ansatzweise den Durchblick zu behalten, wollen wir einige der brisantesten rechtlichen Änderungen vorstellen und mit den Teilnehmern diskutieren. Folgende Themen sollen besprochen werden:

  • Nachweis-Richtlinien nach § 84 Abs. 7 SGB XI vom 22.02.2023 für den Nachweis der Personalkosten in den Pflegesatzverhandlungen
  • Ergänzungshilfe-Richtlinien nach § 154 SGB XI vom 23.03.2023 (Energierettungsschirm für Pflegeeinrichtungen)
  • Beschluss der PSK Nds. vom 13.03.2023 zur Verrechnung der Ergänzungshilfen
  • Bundesrahmenempfehlungen zur Personalbemessung zu § 113c Abs. 4 SGB XI vom 22.02.2023
  • Nds. HeimmindestbauVO vom 1.10.2022
  • Neues zur Heimentgelterhöhung nach § 9 WBVG – OLG Dresden, Urteil vom  22.08.2022
  • Nochmals: Zustimmungspflicht bei Heimentgelterhöhung – BGH, Urteil vom 12.05.2016
  • Aktuelles Vorgehen von BIVA nach dem UnterlassungsklageG bei Verstößen gegen wirksame Heimentgelterhöhung
  • Welche I-Kosten sind zu zahlen, wenn der Selbstzahler nicht mehr kann, aber noch keine Sozialhilfe greift?
  • Verbot von Reservierungsgebühren – BGH, Urteil vom 15.07.2021

Interessierte, auch Nichtmitglieder des APH, können sich über den APH anmelden.

 

Die Nachweis-Richtlinien gem. § 84 Abs. 7 SGB XI liegen vor!

Mit einer Verspätung von 8 Monaten (!) hat der GKV-Spitzenverband im Einvernehmen mit dem BMAS die Nachweis-Richtlinien nach § 84 Abs. 7 SGB XI Anfang März 2023 vorgelegt. In den Nachweis-Richtlinien soll das Verfahren geregelt werden, wie Pflegeeinrichtungen nachzuweisen haben, dass sie die bei der Vereinbarung der Pflegesätze zugrunde gelegte Bezahlung ihres Pflegepersonals im Rahmen der sog. „Tariftreueregelung“ nach §§ 72, 82 c SGB XI eingehalten haben.

Nach den aktuellen Ergänzungshilfe-Richtlinien zum Energierettungsschirm und dem 1. Entwurf der Nachweis-Richtlinien war erneut ein weiteres „Bürokratiemonster“ zu befürchten. Tatsächlich sind die jetzigen Richtlinien trotz verbleibender Kritikpunkte praktikabel und deshalb zu begrüßen. Es bleibt zwar abzuwarten, wie das Verfahren in der Praxis umgesetzt wird, jedoch scheinen die berechtigten Interessen der Beteiligten ausreichend berücksichtigt und frühere Streitpunkte beseitigt worden zu sein.

Wie wesentlichen Inhalte der Nachweis-Richtlinien sind:

  1. Die Kostenträger stimmen sich beim Nachweisverfahren ab, wobei nur eine Vertragspartei für alle Kostenträger stellvertretend das Nachweisverlangen durchführt.
  2. Das Nachweisverlangen kann sich auf das laufende und/oder auf den zuletzt vergangenen Vergütungszeitraum, längstens aber auf die vergangenen 24 abgeschlossenen Monate vor Zugang des Verlangens (Nachweiszeitraum) beziehen.
  3. Der Nachweiszeitraum beginnt frühestens am 1. September 2022.
  4. Pflegeeinrichtungen, die sich an einen Tarifvertrag orientieren oder das regional übliche Entlohnungsniveau zu Grunde legen, haben zum Nachweis
  • der tarifvertraglichen Entlohnung,
  • der tatsächlichen Zahlung mindestens in Höhe des regional üblichen Entlohnungsniveaus in der jeweiligen Qualifikationsgruppe,
  • zum Nachweis der tatsächlichen Zahlung mindestens in Höhe der Pflegesatz- bzw. Vergütungsvereinbarung zugrunde gelegten Entlohnung,

bezogen auf den Nachweiszeitraum für das in der Pflege und Betreuung eingesetzte Personal

a) anonymisierte Personallisten mit

  • Angabe der Qualifikationsgruppen (ggf. mit Entgeltgruppe und Erfahrungsstufe),
  • der individuellen Wochenarbeitszeit,
  • der darauf beruhenden durchschnittlichen Entlohnung,
  • Ein- und Austrittsdatum der Beschäftigten während des Nachweiszeitraumes,

b) anonymisierte Gehaltsabrechnungen, für alle Beschäftigten je Qualifikationsgruppe,

c) auf Verlangen Auszüge aus anonymisierten Arbeitsverträgen mit Regelungen zur Entlohnung

vorzulegen. Eine Zuordnung der Gehaltsabrechnungen und Arbeitsverträgen zu den Angaben in den Personallisten muss gegeben sein.

Bei berechtigten Zweifeln können ergänzende Unterlagen vorgelegt werden.

  1. Ab dem Nachweisverlangen hat der Träger eine Frist zur Vorlage der Unterlagen von 4 Wochen (= 28 Kalendertage), die in begründeten Fällen verlängert werden kann.
  2. Die Übersendung der Nachweisunterlagen hat in digitaler Form, also per E-Mail, zu erfolgen, soweit Datensicherheit gewährleistet ist (Anm.: Was sich allein aus der Anonymisierung ergeben dürfte.).
  3. Es soll eine schriftliche Mitteilung des Prüfungsergebnisses innerhalb von 8 Wochen nach Eingang der angeforderten Unterlagen erfolgen.

Praxistipp:

Selbst wenn einige Punkte unklar bleiben, können sich jetzt alle Seiten auf das Nachweisverfahren einstellen. Den Einrichtungsträgern ist zu empfehlen, bereits jetzt Personallisten mit mindestens den erforderlichen Angaben zu führen, um diese zeitnah auf Verlangen vorlegen zu können. Erfahrungsgemäß kann dies laufende oder zukünftige Pflegesatzverhandlungen fördern.

Ferner sollte eine einfache Möglichkeit gefunden werden, wie Gehaltsabrechnungen für die Beschäftigten je Qualifikationsstufe anonymisiert eingereicht werden können. Sinnvoll dürfte es jedenfalls sein, nunmehr auf den Gehaltsabrechnungen das Qualifikationsniveau, in dem die jeweilige Person beschäftigt wird, mit in der Gehaltsabrechnung aufzuführen.

Um Widersprüche zu vermeiden und die Verfahren zu verkürzen, sollten Einzelheiten frühzeitig mit Ihren Pflegesatzverhandlern abgestimmt werden.

Der Energierettungsschirm für Pflegeeinrichtungen ist da

… und mit ihm ein weiteres Stück Pflegebürokratie!

Nach § 154 SGB XI erhalten (teil-) stationäre Pflegeeinrichtungen aus dem „Energierettungsschirm“  für Oktober 2022 bis April 2024 die Mehrkosten für Erdgas, Fernwärme und Strom erstattet. Konkret soll die Differenz zwischen der Vorauszahlung aus März 2022 und den jeweiligen monatlichen Abschlagszahlungen ab Oktober 2022 als sog. „Ergänzungshilfe“ innerhalb von 4 Wochen nach vollständiger Antragsstellung von den Pflegekassen gezahlt werden.

Nicht umfasst sind ambulante Pflegedienste, Pflegewohngemeinschaften, Energiekosten für z.B. Öl- oder Holzpelletheizungen und die Mehrausgaben von März bis September 2022.

Mit Stand 22.02.2023 wurden die dazugehörigen „Ergänzungshilfe-Richtlinien“ beschlossen, die das nähere Verfahren regeln sollen.

Wichtig und gleichzeitig unklar ist die Frist, bis wann die Hilfen ab Oktober 2022 beantragt werden müssen. § 154 SGB XI sieht eine Frist von 15 „Tagen“ nach „Vorliegen“ der Richtlinien vor. Wann eine Richtlinie „vorliegt“ ist aber unklar. Beschlossen wurde sie am 22.02.2023, die Veröffentlichung auf der GKV-Seite ist wohl am 23.02.2023 geschehen und das „Inkrafttreten“ erfolgt erst am 01.03.2023.

Auch ist unklar, was mit „Tagen“ gemeint ist. Grundsätzlich gilt als „Tag“ der „Kalendertag“. In Ziff. 3. Abs. (13) der Richtlinie heißt es „spätestens 15 Arbeitstage (Montag bis Freitag) nach Inkrafttreten der Richtlinie“. Das der Samstag nicht als Arbeitstag gilt, scheint bei Behördenmitarbeitern zum Grundverständnis zu gehören.

Die vorstehenden Ausführungen lassen nunmehr einen Korridor für die „spätesteBeantragung vom 09.03.2023 (15 Kalendertage nach dem 22.02.2023) bis zum 22.03.2023 möglich erscheinen, wenn man die 15 Arbeitstage nach dem Inkrafttreten so versteht, dass die 15 Arbeitstage erst am Tag nach dem 01.03.2023, also am 02.03.2023, beginnen.

Der sicherste Weg wäre eine Antragstellung bis zum 09.03.2023. Geht man von einer „Selbstbindung der Verwaltung“ durch die Richtlinien aus, könnte auch noch eine Antragstellung bis zum 22.03.2023 „rechtzeitig“ sein. Die Lösung werden in einigen Jahren die Sozialgerichte veröffentlichen.

Ab Februar bzw. März 2023 sind dann alle Anträge spätestens jeweils bis zum 15. des Folgemonats bei der zuständigen Pflegekasse zu stellen.

Wichtig ist auch, dass die Antragstellungvollständig“ erfolgt, wobei diverse Zusatzinformationen, Unterlagen und Versicherungen gefordert werden, die individuell zu bearbeiten sind.

Ein Stück aus dem „Tollhaus“ der Pflegebürokratie ist dann noch die Form für die Geltendmachung. So sehen die Richtlinien in Ziff. 3 Abs. (2) Textform vor, fordern aber gleichzeitig eine „Unterschrift des Einrichtungsträgers“ wobei eine originalgetreue Nachbildung (Faksimile) ausreichend sein soll, um dann zu regeln, dass der Antrag in „elektronischer Form“ eingereicht werden soll. Jedem Juristen, der zumindest im 1. Semester aufgepasst hat, stellen sich dabei die „Nackenhaare“ auf. Jedenfalls ist unerklärlich, warum § 126 BGB (Schriftform), § 126 a BGB (Elektronische Form) und § 126 b BGB (Textform) sinnlos vermischt und in eine „GKV/BMG-Richtlinienform“ gepanscht werden.

Zu beachten ist auch, dass jede Pflegeeinrichtung nach Ziff. 6. der Richtlinie verpflichtet ist, bis zum 31.12.2023 eine Energieberatung durch einen Gebäudeenergieberater durchführen zu lassen, da ansonsten die Erstattungsbeträge für Januar bis April 2024 um jeweils 20% gekürzt werden.

Praxistipp:

Die Einführung des Energierettungsschirms ist eine gute Sache, um die wirtschaftliche Existenz von Pflegeeinrichtung zu sichern.

Aufgrund der neuen bürokratischen Hürden sollte sich jedoch jede Pflegeeinrichtung unbedingt kurzfristig mit den komplizierten Vorgaben auseinandersetzen und dringend die Fristen einhalten, um finanzielle Verluste zu vermeiden.

Dass der GKV-Spitzenverband und das BMG aus den vielen Versäumnissen der letzten 3 Jahre bei den Formulierung der Richtlinien nichts gelernt haben, bleibt bedauerlich und mindert die Hoffnung, dass die Pflegebürokratie nicht noch weiter wächst. „Bürokratieabbau“, um wieder Zeit für die wichtigen Aufgaben in der Pflege zu bekommen, bleibt eine hohle Phrase.

Wir setzen Ihr Recht durch!

Anwaltskanzlei Kälble & Kollegen PartGmbB

Die Anwaltskanzlei Kälble & Kollegen ist jetzt eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB).

Im Rahmen diverser Berufsrechtsänderungen 2022 in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wurde die Sozietät „Anwaltskanzlei Kälble & Kollegen GbR“ am 01.10.2022 in die „Anwaltskanzlei Kälble & Kollegen PartGmbB“ umgewandelt. Die Partnerschaft wurde am 12.12.2022 beim Amtsgericht Hannover in das Partnerschaftsregister zu PR 201485 eingetragen. Zwar ist die Haftung der PartGmbB nach der gesetzlichen Regelung, ähnlich einer GmbH, auf das Partnerschaftsvermögen beschränkt, jedoch besteht zur Absicherung der Mandatsangelegenheiten eine berufliche Vermögensschadenshaftpflichtversicherung mit einer Deckungssumme von bis zu 4 Mio. Euro.

Einzelvertretungsberechtigte Partner sind die Rechtsanwälte Frank Kälble, Martin Rokahr und Tomas Hermann.

Mit der Umwandlung der Sozietät in eine PartGmbB übernehmen auch wir die gesetzlichen Regelungen für eine moderne Berufsausübungsgemeinschaft, in der sich Rechtsanwälte in Ausübung ihrer freien Berufe zum Zwecke der gemeinsamen Berufsausübung zusammenschließen können.

Bei der Eintragung der PartGmbB in das Partnerschaftsregister ist erneut besonderer Wert auf die Ausrichtung der Partnerschaft in den Rechtsbereichen Arbeits-, Heim- und Pflegerecht mit der rechtlichen Beratung und Vertretung von Leistungserbringern in der Pflege gelegt worden.

Vor diesem Hintergrund werden alle Mandatsbeziehungen mit der Anwaltskanzlei Kälble & Kollegen PartGmbB fortgeführt und zukünftig neu begründet.

Wir freuen uns auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit.

Ihre

RAe Kälble, Rokahr und Hermann

Neue Heimmindestbauverordnung in Niedersachsen

70% Einzelzimmerquote in nds. Pflegeeinrichtungen ab 2033

Als ob die Einrichtungsträger in der Pflege nach 3-Jahren Corona-Pandemie, Personalnotstand, Impfpflicht, Tariftreue, Preisexplosionen, neue Personalbemessung usw. nicht schon genug belastet wären, tritt in Niederachsen zum 01.10.2022 eine neue HeimmindestbauVO in Kraft.

In der „Verordnung über bauliche Anforderungen für unterstützende Einrichtungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über unterstützende Wohnformen (NuWGBauVO)“ vom 20.09.2022, wird nunmehr auch für Niedersachsen vorgeschrieben, dass mindestens 70% der Wohneinheiten nur noch durch eine Person genutzt werden dürfen. Übersetzt heißt das, dass mindestens 70% aller Wohneinheiten Einzelzimmer sein müssen. Wohneinheiten für mehr als 2 Personen sind nicht zulässig.

Die Grundfläche für ein Einzelzimmer muss mindestens 14 m² und für eine Doppelzimmer mindestens 22 m² haben.

Hinzu kommen diverse Vorgaben für Schmutzräume, Räume für gemeinschaftliche Zwecke, Therapieräume, Sanitärräume und Pflegebäder.

Die Pflicht bettlägerige Bewohner durch die Flure und Türen in fast alle Räume verlegen zu können, gehört nunmehr genauso dazu, wie die Fenster bei Bedarf nur noch in Kippstellung öffnen zu können oder Badewannen, Duschen und Handwaschbecken mit Verbrühschutz sowie bei Mehrpersonennutzung die Bäder und Duschen mit Sichtschutz auszustatten.

Nicht stufenlos zugängliche Bereiche müssen mit Aufzügen in ausreichender Zahl ausgestattet werden.

In allen Wohnschlafräumen muss Hörfunk- und Fernsehempfang sowie die Internetnutzung möglich sein.

Verstöße werden mit einem Bußgeld geahndet.

Als Übergangszeit wurde u.a. für den Verbrühschutz, Fenstersperre und Internet ein Zeitraum bis zum 31.12.2025 vorgegeben. Die restlichen baulichen Maßnahmen müssen bis zum 31.12.2032 umgesetzt werden, wobei es in Einzelfällen eine Verlängerung von 3 Jahren geben könnte, die frühestens ab Anfang 2030 geltend gemacht werden kann.

Praxistipp:

Während in neuen Pflegeimmobilien die Vorgaben bereits umgesetzt sein dürften, werden viele ältere Pflegeeinrichtungen vor kaum lösbare bauliche Maßnahmen stehen. Ob der Umbau und Betrieb solcher älteren Einrichtungen wirtschaftlich tragfähig ist, kann bezweifelt werden. Insoweit kann die „Flucht in das betreute Wohnen“ oder die Schließung der Einrichtung eine bedenkenswerte Option sein.

Während alle Beteiligten über eine Explosion der Pflegekosten lamentieren, ist die Verpflichtung zu kostspieligen Umbaumaßnahmen sicherlich nicht geeignet, die Kosten für die Bewohner, Beitrags- und Steuerzahler überschaubar zu halten.

Wichtig wird für die verbleibenden Einrichtungsträger sein, sowohl frühzeitig erforderliche Umbaumaßnahmen zu planen als auch die Kosten rechtzeitig mit dem Sozialhilfeträger zu verhandeln, um ausreichende Investitionskosten zu erhalten. Für energetische Sanierungen werden dabei kaum noch Ressourcen verbleiben.

 

Arbeiten gefährdet die Gesundheit

Das neue Arbeitszeitrecht des BAG

Am 13.9.2022 vertrat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die Auffassung (1 ABR 22/21), dass sich bei europarechtskonformer Auslegung eine Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ergebe.

Bisher ist lediglich in § 16 Abs. 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) die Verpflichtung geregelt, Arbeitszeiten über 8 Stunden täglich aufzuzeichnen.

Aus § 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 1 ArbSchG ergibt sich, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsschutzes die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, um eine Gefährdung für das Leben und die Gesundheit der Mitarbeiter möglichst zu vermeiden.

Nach dem BAG soll dazu auch die Zeiterfassung ab der ersten Minute gehören. Zwar liegen die ausführlichen Urteilsgründe noch nicht vor, jedoch sorgt das Urteil bereits jetzt für große Unruhe.

Die Entscheidung kann vorläufig so interpretiert werden, dass der Arbeitgeber Maßnahmen zu treffen hat, um die Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer zu erfassen. Eine Übertragung der Aufzeichnungspflicht auf den Arbeitnehmer soll zumindest nach Willen des EuGH im „Stechuhr-Urteil“ (EuGH, C-55/18) nicht möglich sein.

Damit könnten alternative Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice kaum noch umsetzbar sein. Hinzu kommt weiterer bürokratischer und finanzieller Aufwand.

Für Pflegeeinrichtungen dürfte die Aufzeichnungspflicht durch einen entsprechenden Dienstplan erfüllt werden können.

Unklar ist, ob und ggf. wie Verstöße geahndet werden können, da ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht der werktäglichen Arbeitszeit noch nicht bußgeldbewehrt ist. Ggf. können die Aufsichtsbehörden Maßnahmen nach § 22 ArbSchG erlassen, was jedoch aktuell unwahrscheinlich ist.

Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber in dieser Frage Klarheit schafft. Die bereits seit mehreren Jahren andauernde Diskussion zu diesem Thema ist allerdings entmutigend. Zudem ist zu befürchten, dass der Gesetzgeber sich der Entscheidung des BAG „anschließt“ und meinen könnte, dass durch § 3 ArbSchG bereits alles geregelt sei.

Praxistipp:

Pflegeeinrichtungen sollten den Dienstplan auch auf das „sonstige Personal“ ausdehnen und darauf achten, dass Überstunden aufgezeichnet werden. Dringend zu empfehlen ist, dass Arbeitszeitkonten in Schriftform vereinbart werden. Rechtlich ist es zulässig, bis ca. 10% der Arbeitszeit (bei einer 40 Std.-Woche bis zu 4 Stunden) als unbezahlte Überstunden zu vereinbaren, soweit der Mindestlohn eingehalten ist.