Neue Heimmindestbauverordnung in Niedersachsen

70% Einzelzimmerquote in nds. Pflegeeinrichtungen ab 2033

Als ob die Einrichtungsträger in der Pflege nach 3-Jahren Corona-Pandemie, Personalnotstand, Impfpflicht, Tariftreue, Preisexplosionen, neue Personalbemessung usw. nicht schon genug belastet wären, tritt in Niederachsen zum 01.10.2022 eine neue HeimmindestbauVO in Kraft.

In der „Verordnung über bauliche Anforderungen für unterstützende Einrichtungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über unterstützende Wohnformen (NuWGBauVO)“ vom 20.09.2022, wird nunmehr auch für Niedersachsen vorgeschrieben, dass mindestens 70% der Wohneinheiten nur noch durch eine Person genutzt werden dürfen. Übersetzt heißt das, dass mindestens 70% aller Wohneinheiten Einzelzimmer sein müssen. Wohneinheiten für mehr als 2 Personen sind nicht zulässig.

Die Grundfläche für ein Einzelzimmer muss mindestens 14 m² und für eine Doppelzimmer mindestens 22 m² haben.

Hinzu kommen diverse Vorgaben für Schmutzräume, Räume für gemeinschaftliche Zwecke, Therapieräume, Sanitärräume und Pflegebäder.

Die Pflicht bettlägerige Bewohner durch die Flure und Türen in fast alle Räume verlegen zu können, gehört nunmehr genauso dazu, wie die Fenster bei Bedarf nur noch in Kippstellung öffnen zu können oder Badewannen, Duschen und Handwaschbecken mit Verbrühschutz sowie bei Mehrpersonennutzung die Bäder und Duschen mit Sichtschutz auszustatten.

Nicht stufenlos zugängliche Bereiche müssen mit Aufzügen in ausreichender Zahl ausgestattet werden.

In allen Wohnschlafräumen muss Hörfunk- und Fernsehempfang sowie die Internetnutzung möglich sein.

Verstöße werden mit einem Bußgeld geahndet.

Als Übergangszeit wurde u.a. für den Verbrühschutz, Fenstersperre und Internet ein Zeitraum bis zum 31.12.2025 vorgegeben. Die restlichen baulichen Maßnahmen müssen bis zum 31.12.2032 umgesetzt werden, wobei es in Einzelfällen eine Verlängerung von 3 Jahren geben könnte, die frühestens ab Anfang 2030 geltend gemacht werden kann.

Praxistipp:

Während in neuen Pflegeimmobilien die Vorgaben bereits umgesetzt sein dürften, werden viele ältere Pflegeeinrichtungen vor kaum lösbare bauliche Maßnahmen stehen. Ob der Umbau und Betrieb solcher älteren Einrichtungen wirtschaftlich tragfähig ist, kann bezweifelt werden. Insoweit kann die „Flucht in das betreute Wohnen“ oder die Schließung der Einrichtung eine bedenkenswerte Option sein.

Während alle Beteiligten über eine Explosion der Pflegekosten lamentieren, ist die Verpflichtung zu kostspieligen Umbaumaßnahmen sicherlich nicht geeignet, die Kosten für die Bewohner, Beitrags- und Steuerzahler überschaubar zu halten.

Wichtig wird für die verbleibenden Einrichtungsträger sein, sowohl frühzeitig erforderliche Umbaumaßnahmen zu planen als auch die Kosten rechtzeitig mit dem Sozialhilfeträger zu verhandeln, um ausreichende Investitionskosten zu erhalten. Für energetische Sanierungen werden dabei kaum noch Ressourcen verbleiben.

 

Arbeiten gefährdet die Gesundheit

Das neue Arbeitszeitrecht des BAG

Am 13.9.2022 vertrat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die Auffassung (1 ABR 22/21), dass sich bei europarechtskonformer Auslegung eine Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ergebe.

Bisher ist lediglich in § 16 Abs. 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) die Verpflichtung geregelt, Arbeitszeiten über 8 Stunden täglich aufzuzeichnen.

Aus § 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 1 ArbSchG ergibt sich, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsschutzes die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, um eine Gefährdung für das Leben und die Gesundheit der Mitarbeiter möglichst zu vermeiden.

Nach dem BAG soll dazu auch die Zeiterfassung ab der ersten Minute gehören. Zwar liegen die ausführlichen Urteilsgründe noch nicht vor, jedoch sorgt das Urteil bereits jetzt für große Unruhe.

Die Entscheidung kann vorläufig so interpretiert werden, dass der Arbeitgeber Maßnahmen zu treffen hat, um die Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer zu erfassen. Eine Übertragung der Aufzeichnungspflicht auf den Arbeitnehmer soll zumindest nach Willen des EuGH im „Stechuhr-Urteil“ (EuGH, C-55/18) nicht möglich sein.

Damit könnten alternative Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice kaum noch umsetzbar sein. Hinzu kommt weiterer bürokratischer und finanzieller Aufwand.

Für Pflegeeinrichtungen dürfte die Aufzeichnungspflicht durch einen entsprechenden Dienstplan erfüllt werden können.

Unklar ist, ob und ggf. wie Verstöße geahndet werden können, da ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht der werktäglichen Arbeitszeit noch nicht bußgeldbewehrt ist. Ggf. können die Aufsichtsbehörden Maßnahmen nach § 22 ArbSchG erlassen, was jedoch aktuell unwahrscheinlich ist.

Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber in dieser Frage Klarheit schafft. Die bereits seit mehreren Jahren andauernde Diskussion zu diesem Thema ist allerdings entmutigend. Zudem ist zu befürchten, dass der Gesetzgeber sich der Entscheidung des BAG „anschließt“ und meinen könnte, dass durch § 3 ArbSchG bereits alles geregelt sei.

Praxistipp:

Pflegeeinrichtungen sollten den Dienstplan auch auf das „sonstige Personal“ ausdehnen und darauf achten, dass Überstunden aufgezeichnet werden. Dringend zu empfehlen ist, dass Arbeitszeitkonten in Schriftform vereinbart werden. Rechtlich ist es zulässig, bis ca. 10% der Arbeitszeit (bei einer 40 Std.-Woche bis zu 4 Stunden) als unbezahlte Überstunden zu vereinbaren, soweit der Mindestlohn eingehalten ist.