Chaos in der AKI

Fachkraftquote unter 50% – Spagat zwischen Kostenträger und Heimaufsicht

Das Problem

Derzeit kommt es zu vielen Diskussionen zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und den Heimaufsichten, da die Fachkraftquote von 50% der beschäftigten Mitarbeiter in der Pflege häufig nicht mehr eingehalten wird.

Dass die Einrichtungsträger derzeit zwischen „Baum und Borke“ sitzen, ist einerseits dem etwas fortschrittlicherem Bundesgesetzgeber und andererseits den behäbigeren Landesgesetzgebern zu verdanken.

Gesetzliche Regelung

Im Rahmen der neuen Personalbemessung nach § 113 c SGB XI erhalten die Einrichtungsträger die Möglichkeit, flexibler den Qualifikationsmix in der Pflege zu gestalten und die starre Fachkraftquote von 50% zu unterschreiten.

Dies wurde durch die gemeinsamen Rahmenempfehlungen zu § 113c Abs. 4 SGB XI zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Trägerverbänden bestätigt. In Ziff. (4) iVm Ziff. (1) heißt es deutlich, dass die Fachkraftquote gemäß den ordnungsrechtlichen Bestimmungen der Länder nur für die Mindestpersonalausstattung gilt, die sich aus den jeweils (möglichst ab dem 01.07.2023) aktualisierten Landesrahmenverträgen und hilfsweise aus den einrichtungsindividuellen Pflegesatzvereinbarungen ergibt.

Regelung in Niedersachsen

Während in einigen Bundesländern immer noch keine Einigung zur Mindestpersonalausstattung gefunden werden konnte, setzt z.B. Niedersachsen die gesetzlichen Vorgaben vorbildlich um. So wird zum einen im Landesrahmenvertrag ein Korridor zwischen Mindest- und Maximalpersonalausstattung geregelt und zum anderen in den Pflegesatzvereinbarungen ausdrücklich der Bezug der Fachkraftquote nur auf die Mindestpersonalausstattung hergestellt. So heißt es in der Muster-PSV:

Im Bereich der Pflege und Betreuung beträgt der stets vorzuhaltende Anteil an Fachkräften 50% der Personalmenge, die sich aus den Mindestschlüsseln gemäß § 21 Abs. 3 der Rahmenvereinbarung ergibt.

Dieses Aufbrechen der starren Fachkraftquote ist nicht nur eine Umsetzung der KAP-Empfehlungen, sondern gerade in Zeiten des akuten Pflegepersonalmangels dringend geboten.

Verhalten der Heimaufsichten

Es war bisher schon nicht verständlich, wenn Heimaufsichten die Nichteinhaltung der Fachkraftquote monierten, nur weil der Träger trotz Einhaltung des mit den Kostenträgern vereinbarten Personalschlüssels mehr Hilfs- als Fachkräfte beschäftigte. Die von (uneinsichtigen) Heimaufsichten geforderte, aber absurde Folge war dann, die überzähligen Hilfskräfte zu entlassen.

Diese Praxis hat der Gesetzgeber bewusst beendet und den Einrichtungsträgern ermöglicht, sich nicht mehr an eine starre 50% Quote halten zu müssen. Vielmehr soll durch einen einrichtungsindividuellen Personalmix das Personal dort eingesetzt werden, wo es am sinnvollsten benötigt wird. So sollen besonders die Pflegefachkräfte mehr Behandlungspflege und zukünftig Vorbehaltsaufgaben übernehmen, während Pflegehelfer für die Grundpflege zuständig sind.

Leider sind diese Neuerungen noch nicht bei allen Heimaufsichten angekommen, so dass diese trotzdem noch Aufnahmestopps anordnen, wenn nicht 50% aller Pflegemitarbeiter Pflegefachkräfte sind, selbst wenn der landes- oder einrichtungsspezifische Mindestpersonalbedarf an Pflegefachkräften gedeckt wäre

Handlungsmöglichkeiten der Pflegeeinrichtung

Sicherlich kann es in solchen Fällen sinnvoll sein, dem jeweiligen Sachbearbeiter der Heimaufsicht durch geduldiges Erklären die neue Rechtslage verständlich zu machen und auf Einsicht zu hoffen.

Soweit in den jeweiligen Heimgesetzen Ausnahmeregelungen von der starren 50%-Quote eingeräumt werden, sollte vorsorglich ein Antrag auf Abweichung von der Fachkraftquote gegenüber der Heimaufsicht gestellt werden.

Gelingt dies nicht, wird die Einrichtung nicht umhinkommen, den bekanntgegebenen Verwaltungsakt (z.B. Aufnahmestopp, Maßnahmebescheid) mit den landespezifischen Rechtsbehelfen (z.B. Widerspruch oder Klage) fristgerecht (meist 1 Monat) anzugreifen.

In diesem Fall sollte der Behörde im jeweiligen Einzelfall ein Ermessensfehler vorgeworfen werden, weil das Festhalten an der starren Fachkraftquote nicht verhältnismäßig ist und auch nicht dem Wohl und Schutz der Bewohner dient.

Vorsorglich könnte der Heimaufsicht, wenn sich diese auf die länderspezifische Norm zur Fachkraftquote beruft, z.B. unter Verweis auf die neuen Regelungen im SGB XI, verfassungswidriges Handeln unterstellt werden.

Allein die Überlegung, dass nach dem bundesweiten Pflegeversicherungsrecht eine Unterschreitung der Fachkraftquote von 50% rechtmäßig, aber nach Länderrecht rechtswidrig sein soll, sollte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes deutlich machen.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Einzelfall, z.B. bei wesentlichen Qualitätsmängeln, der Verwaltungsakt nicht doch rechtmäßig sein könnte.

Praxistipp:

Wenn Sie als Einrichtung eine Fachkraftquote von unter 50% mit den Kostenträgern in der Pflegesatzvereinbarung vereinbart haben, sollte es möglich sein, die jeweilige Heimaufsicht von der rechtmäßigen Unterschreitung der länderspezifischen Fachkraftquote zu überzeugen, vorsorglich ist ein Antrag auf Abweichung von der Fachkraftquote zu stellen. Gelingt dies nicht, sollte mit anwaltlicher Hilfe die Maßnahme der Heimaufsicht überprüft werden.

Wird die starre Fachkraftquote von 50% unterschritten, obwohl (noch) keine abweichende Vereinbarung mit den Kostenträgern vorliegt, sollte dennoch vor dem Hintergrund der bundesweiten Regelung zu § 113c SGB XI und den Rahmenempfehlungen die Auffassung bzw. Maßnahme der Heimaufsicht hinterfragt und ggf. gerichtlich überprüft werden.

Wir haben jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass in den allermeisten Fällen eine sachliche und argumentativ geführte Auseinandersetzung mit der Heimaufsicht der schnellste und für die Einrichtung günstigste Weg ist. Erst wenn sich die Positionen unauflösbar verfestigt haben, kann die Einlegung von Rechtsbehelfen die Sache fördern, da dann auch auf Seiten der Verwaltung juristisch besser geschulte Mitarbeiter die Sach- und Rechtslage überprüfen.

Wünschenswert bleibt, dass auch die Bundesländer auf die neue Rechtslage reagieren und ihre Heimgesetze anpassen.

BSG stärkt Gewinnanspruch von stationären Pflegeeinrichtungen

Mit seiner Entscheidung vom 19.4.2023 eröffnet das BSG stationären Pflegeeinrichtungen die Möglichkeit, einen angemessenen Gewinnzuschlag (sog. Wagniszuschlag, Unternehmerrisiko, Unternehmerlohn usw.) auf alle Gestehungskosten, also auch auf Unterkunft und Verpflegung, bei Pflegesatzverhandlungen zu vereinbaren.

Während nach der Entscheidung vom 26.09.2019 die Hürden für die Vereinbarung eines solchen Gewinnzuschlages vom BSG stark heraufgesetzt wurden, hat der 3. Senat des BSG in seiner aktuellen Entscheidung diese Hürden wieder deutlich herabgesenkt.

Die wesentlichen Eckpunkte der Entscheidung sind:

  1. Bestätigung, dass Pflegesatzverhandlungen in einem zweigliedrigen Prüfungsschema durchzuführen sind:
    • Erste Schritt: Abschätzung der voraussichtlichen Kosten in der Pflegeeinrichtung für die bevorstehende Pflegesatzperiode (Prognose).
    • Zweite Schritt: Prüfung der Leistungsgerechtigkeit.
  2. Die Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein. Leistungsgerecht sind die Pflegesätze, wenn
    • die voraussichtlichen Gestehungskosten der Einrichtung nachvollziehbar und plausibel dargelegt werden und sie
    • unter Berücksichtigung einer angemessenen Gewinnchance
    • in einer angemessenen und nachprüfbaren Relation zu den Sätzen anderer vergleichbarer Einrichtungen stehen (externer Vergleich).
  3. Geltend gemachte Pflegesätze sind demnach nicht angemessen, wenn die Kostenansätze und erwarteten Kostensteigerungen nicht plausibel erklärt werden können oder die begehrten Sätze im Verhältnis zu anderen Pflegeeinrichtungen unangemessen sind.
  4. Anders als 2019 erkennt das BSG jetzt auch an, dass eine angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos nicht nur auf die Pflegesätze, sondern auch auf die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung anzusetzen ist.
  5. Insoweit können die Einrichtungsbetreiber in den Vergütungsvereinbarungen Positionen zur Abgeltung des unternehmerischen Wagnisses, Gewinns und Unternehmerlohns verhandeln. Dies gilt für alle Gestehungskosten, mit Ausnahme der nach § 82 Abs. 2 SGB XI getrennt zu verhandelnden Investitionskosten (sog. I-Kosten).
  6. Grundsätzlich sind solche Gewinnerwartungen nicht bereits in die Gestehungskosten einzubeziehen, sondern gesondert zu verhandeln. Dies folgt daraus, dass die Gestehungskosten nachvollziehbar und plausibel darzulegen sind.
  7. Über die Bemessung der angemessenen Gewinnchance als Teil der Pflegesätze und der Entgelt für Unterkunft und Verpflegung, darf eine Schiedsstelle nach pflichtgemäßen Ermessen ohne Bindung an ein bestimmtes bundesrechtlich vorgegebenes Verfahren entscheiden.
  8. Die Realisierung von Gewinnchancen könnte z.B. über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz geschehen oder über die Auslastungsquote gesteuert werden, sofern diese im Vergleich zu anderen Einrichtungen realistisch angesetzt wird.
  9. Auch die Auslagerung von Leistungen auf Dritte können eigene Unternehmerrisiken begründen.
  10. Am strengen umfangreichen Amtsermittlungsgrundsatz der Schiedsstelle hält das BSG nicht mehr fest, sondern hält es für ausreichend, dass sich die Schiedsstelle auf den Vortrag der Parteien beschränken darf, soweit sie nicht selbst Zweifel am unterbreiteten Sachstand hat oder darauf substantiiert hingewiesen wird.
  11. Dem Schiedsspruch muss zu entnehmen sein, dass die von ihr festgesetzten Pflegesätze und Entgelte einem abschließenden Vergleich mit den Vergütungen anderer Einrichtungen unterzogen wurde.

Praxistipp:

Mit der aktuellen Entscheidung hat das BSG für mehr Klarheit bei den Pflegesatzverhandlungen gesorgt und gleichzeitig die Position der Pflegeeinrichtungen gestärkt. Nunmehr ist eindeutig, dass ein Anspruch auf einen Gewinnzuschlag nicht nur auf die Pflegesätze, sondern auch bei Unterkunft und Verpflegung aufzuschlagen ist.

Der Wermutstropfen bleibt, dass das BSG keine Angaben zur Höhe und zur Ermittlung eines solchen Unternehmerlohnes gibt. Allerdings hat es den von der Schiedsstelle Schleswig-Holstein angewendeten Ansatz, auf der Grundlage der IEGUS-Studie einen Unternehmergewinn von grds. 4,96 % anzusetzen, nicht vollständig beanstandet. Allerdings bleibt die Schiedsstelle verpflichtet, die Angemessenheit des angesetzten Wagniszuschlages mit anderen Pflegeeinrichtungen zu vergleichen. Da der Unternehmerlohn bisher stiefmütterlich behandelt wurde, wird es in den nächsten Jahren darauf ankommen, diesen Anspruch in den Pflegesatzverhandlungen substantiiert und verstärkt einzufordern.

Pflegeeinrichtungen bleiben deshalb gut beraten, ihre Zahlen für die Pflegesatzverhandlungen gut aufzubereiten und ihre berechtigten Interessen auch notfalls in der Schiedsstelle durchzusetzen. Die Erfahrung zeigt aber, dass bei einer guten Darlegung der Zahlen die Kostenträger bereit sind, eine auskömmliche Vergütung zu vereinbaren. Nur wenn der Pflegeheimbetreiber diese Vorarbeiten scheut und sich nicht mit der aktuellen Rechtslage auseinandersetzt, bleibt die Gefahr, von den Kostenträgern nicht die Pflegevergütung zu erhalten, die angemessen und erforderlich wäre.

Es ist deshalb empfehlenswert, sich bei Pflegesatzverhandlungen professionell begleiten zu lassen. Wir unterstützen Sie dabei bundesweit.

UG verhindert keine Scheinselbständigkeit in der Pflege

Das BSG hat am 20.07.2023 in drei Entscheidungen das Aus für die 1-Personen UG und GmbH in der Pflege besiegelt.

Bereits mit den Entscheidungen vom 07.06.2019 vertrat das Bundessozialgericht (BSG) die Auffassung, dass es bis auf ganz wenige Ausnahmen keine freiberufliche Tätigkeit in der stationären Pflege geben könne. So seien die Mitarbeiter praktisch immer in den Pflegebetrieb eingegliedert und würden der Rechtsmacht der Einrichtung unterliegen, da ansonsten keine ordnungsgemäße Pflege praktiziert werden könne.

Aufgrund des Personalnotstandes und immer teurer werdenden Zeitarbeitskräften, bieten dennoch weiterhin „freiberufliche Mitarbeiter“ ihre Tätigkeit für Pflegeeinrichtungen an. Ein formaler Ausweg schien die Gründung einer Unternehmergesellschaft (UG) oder sogar einer GmbH zu sein, die dann als sog. juristische Personen ihre (einzigen) Gesellschafter-Geschäftsführer der Pflegeeinrichtung überlassen haben. Da dieser Gesellschafter-Geschäftsführer kein Arbeitnehmer der UG/GmbH war, ging die Rechtsprechung davon aus, dass keine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG vorläge.

Das OLG München hat noch mit Beschluss vom 21.02.2023 die Berufung einer Pflegeeinrichtung zurückgewiesen, die sich gegen überhöhte Honorarforderungen einer UG gewehrt hatte. Das OLG München sah keine grundsätzliche Bedeutung und führte unter Verweis auf die Rechtsprechung des BSG  vom 24.11.2005, des Hessischen LSG vom 18.11.2021 und des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.11.2021 aus, dass auch im Sozialrecht eine verfassungsrechtliche und zivilrechtliche Verpflichtung bestehe, die vom bürgerlichen Recht gewährleistete und ausgestaltete Existenz und Handlungsfähigkeit juristischer Personen zu achten. Eine UG nutze deswegen eine vom Gesetz eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit.

Dieser Auffassung ist das BSG nun in drei Entscheidungen entgegengetreten. Ausweislich der Terminsberichte vom 20.07.2023 kann auch der von einer 1-Personen UG (BSG B 12 BA 1/23 R) oder 1-Personen GmbH (B 12 R 15/21) zur Dienstleistung überlassene Gesellschafter-Geschäftsführer der Sozialversicherungspflicht im Pflegebetrieb des Auftraggebers unterliegen, wenn „der weisungsgebundene Einsatz geeigneter Personen zur Kranken-/Altenpflege allein im Interesse der Krankenhaus-/Pflegeeinrichtungsträgerin und unter Eingliederung in die Organisation des Krankenhauses/der Pflegeeinrichtung geschieht“.

Praxistipp:

Auch wenn die schriftlichen Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, ergibt sich aus den Terminsberichten, dass die 1-Personen UG/GmbH, die ihre Gesellschafter-Geschäftsführer zu Dienstleistungen in anderen Betrieben einsetzen, keine Sozialversicherungspflichten zwischen dem Gesellschafter-Geschäftsführer und dem Auftraggeber (z.B. Krankenhaus, Pflegeeinrichtung) verhindern können. Selbst vertragliche Absprachen, wonach keine Weisungsgebundenheit bestehen soll, werden vom BSG nicht akzeptiert. Die 2005 noch ausgeführte Pflicht zur Beachtung der zivilrechtlich zulässigen Gestaltungsformen, ist damit im Sozialversicherungsrecht nicht mehr existent.

Mit der immer restriktiveren Rechtsprechung des BSG zur „Scheinselbständigkeit“, werden damit praktisch jegliche Ausübungsformen einer Selbständigkeit im Bereich der Pflege, sofern diese Tätigkeit nicht auf eigene Rechnung gegenüber den Pflegebedürftigen ausgeübt wird, faktisch verboten.

Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind auch in der größten Personalnot gut beraten, weder freie Mitarbeiter noch 1-Personen UG/GmbH zu beauftragen.  Als Alternativen kommt

  • die ggf. frühzeitige Einleitung eines zeitaufwendigen bürokratieüberbordenden Statusverfahrens nach § 7a SGB IV in Betracht, wenn der Auftragnehmer seine Zustimmung zur verschobenen Beitragsentstehung erteilt,
  • die Nutzung von Arbeitnehmerüberlassung, auch wenn diese praktisch nicht mehr refinanzierbar ist und damit die Insolvenzgefahr von Pflegeeinrichtungen drastisch fördert, oder
  • eine Verlegung der Pflegebedürftigen in andere Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen.

Gerade die beiden letzten Alternativen können wegen den damit verbundenen Gesundheitsgefahren für die Pflegebedürftigen nicht gewollt sein. Sie sind jedoch offensichtlich die Folge, dass die Politik durch überbordende Bürokratie, die vom 12. Senat des BSG äußerst streng umgesetzt wird, sinnvolles und eigenverantwortliches Handeln zumindest erheblich erschwert.

Der ganze „Murks“ rund um das Thema Scheinselbständigkeit ließe sich einfach vermeiden, wenn Soloselbständige einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und eine insolvenzfeste Altersversorgung, z.B. bei der DRV, in Versorgungswerken oder in unverfallbaren und unwiderruflichen privaten Altersversorgungen, nachweisen müssten. Hierdurch kann zum einen die Solidar- und Versichertengemeinschaft vor Belastungen durch Soloselbständige geschützt werden, falls diese im Versorgungsfall keine ausreichende Kranken- und Altersvorsorge getroffen haben. Zum anderen wird hierdurch für eine ausreichende Absicherung und Vergütung der Soloselbständigen gesorgt, wenn diese Mindestbeiträge abführen müssen, die sie entsprechend in ihre Honorarforderungen einkalkulieren müssen.

Jedenfalls kann durch ein solches Verfahren die Privatautonomie und Vertragsfreiheit, also ein selbst bestimmtes Leben auch als Pflegekraft, gewahrt bleiben, die nicht gegen ihren Willen in feste Arbeitsverhältnisse oder sogar aus dem Beruf gedrängt wird.

Außerklinische Intensivpflege – AKI – Neue Rahmenempfehlung

Licht und Schatten bei den Rahmenempfehlungen zur Versorgung mit außerklinischer Intensivpflege (AKI-§ 132l Abs. 1 SGB V)

Am 01.07.2023 sind die Rahmenempfehlungen zur AKI in Kraft getreten. Zusammen mit der AKI-Richtlinie vom 18.3.2022 liegen nun die rechtlichen Grundlagen für die außerklinische Intensivpflege vor.

Zwar wurden viele Chancen zum Bürokratieabbau und zur Annäherung an die anderen Pflegesektoren (z.B. Anpassung der Vergütungsverhandlungen an §§ 84, 85 SGB XI und der Nachweispflichten an die Nachweisrichtlinien nach § 84 SGB XI sowie Anerkennung des veröffentlichten regional üblichen Entgeltniveaus gem. § 82c SGB XI) wieder einmal vertan, jedoch gibt es zumindest einige sinnvolle Regelungen, die für die Pflegedienste nicht unbedingt Erleichterungen, aber zumindest etwas mehr Planungssicherheit bieten.

Hierzu gehört sicherlich die sich aus § 132l Abs. 5 SGB V ergebene Regelung, wonach ab dem 01.07.2023 die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich Verträge zur AKI, einschließlich der Vergütung, abschließen sollen. Zwar dürfte damit die Kompensation von zu gering verhandelten Stundensätzen mit an anderer Stelle gut verhandelten Stundensätzen entfallen, jedoch dürften zeitraubende Einzelverhandlungen mit diversen Einzelkassen, die alle unterschiedliche und intransparente Kalkulationen vornehmen, der Vergangenheit angehören.

Auch wenn die Chance zur Benennung von (Rahmen-) Personalschlüsseln, insbesondere im Backoffice (z.B. angestellte (?) Geschäftsführung, Verwaltungskräfte, pflegefachliche Leitungs- und Qualitätsmanagement, gesetzlich vorgeschriebene Beauftragte (z.B. Datenschutz, Arbeitssicherheit, interne Hinweisgeberstelle) usw., vgl. § 14 Abs. 3) versäumt wurde, gibt es zumindest in der Mehrfachversorgung einen individuell abänderbaren Personalschlüssel von 1 : 0,71 (§ 6 Abs. 4). Leider wurde die Möglichkeit nicht genutzt, gerade in der Mehrfachversorgung die Pflegefachkräfte durch Pflegehilfskräfte zu entlasten und für eine höhere Versorgungssicherheit der Versicherten zu sorgen.

Zudem sind die Anforderungen an die strukturellen und baulichen Anforderungen für Wohngemeinschaften, in den AKI durchgeführt wird, extrem gestiegen (vgl. § 7). Inwieweit vor diesem Hintergrund die Gründung bzw. der Betrieb solcher WG’s überhaupt noch wirtschaftlich ist, werden die nächsten Vergütungsverhandlungen und die Bereitschaft der Krankenkassen zeigen, ob für die Vielzahl der Anforderungen auch eine angemessene Vergütung gezahlt wird, die den wirtschaftlichen Betrieb einer Pflegeeinrichtung in der AKI noch zulässt.

Für alle Pflegedienste wird es nun wichtig sein, individuell verhandelte Verträge nach § 132l SGB V und dazugehörige Vergütungsvereinbarungen abzuschließen. Da viele Positionen einzeln verhandelbar sind, sollten die Pflegedienste der Versuchung widerstehen, Vorgaben bzw. „Musterverträge“ der Krankenkassen ungeprüft zu übernehmen. Vielmehr besteht das Recht, bisher in den Empfehlungen und Richtlinien nicht geregelte Einzelpositionen mit den Krankenkassen individuell zu verhandeln.

Das gleiche gilt für die Vergütungsverhandlungen. Jeder Pflegedienst sollte im Rahmen der nun eröffneten Möglichkeiten die Vergütungsverhandlungen individuell vorbereiten. Die Erfahrung zeigt, dass mit einer detailliert vorbereiteten prospektiven Kostenkalkulation, mit der die Spielräume und Vorgaben der Rahmenempfehlung auch im Interesse des Pflegedienstes umgesetzt werden, meistens auskömmliche Vergütungen verhandelt werden können. Dies kann jedoch eine Anpassung der betrieblichen (Kosten-) Strukturen und eine Aktualisierung der Buchhaltung an die neuen Vorgaben  erforderlich machen. Zudem ist besonders eine professionelle Verhandlungstaktik gegenüber den Krankenkassen gefragt, um die vorgegebenen Möglichkeiten auch zu nutzen. Leider hat die Erfahrung sowohl in der AKI als auch in der (teil-) stationären Pflege gezeigt, dass ohne eine professionelle Begleitung in der Vorbereitung und in der Vergütungsverhandlung nicht immer wirtschaftlich auskömmliche Stundensätze erzielt werden können.

Praxistipp:

Wenn Sie ganz oder teilweise außerklinische Intensivpflege in der Einzel-, Mehrfach- oder stationären Versorgung erbringen, sollten Sie sich mit den neuen Rahmenempfehlungen auseinandersetzen und Ihre Strukturen an die neuen Personalvorgaben, den strukturellen und baulichen Anforderungen sowie den umfangreichen Dokumentations- und Qualitätspflichten anpassen. Ferner sollten Sie nicht ohne professionelle Begleitung Verträge nach § 132l SGB V abschließen und keine Vergütungsverhandlungen führen, wenn Sie sich nicht sicher sind, den Profiverhandlern der Krankenkassen gewachsen zu sein. Versäumen Sie es deshalb nicht, insbesondere Ihre betrieblichen Strukturen, die Buchhaltung und die Personalorganisation an die Vorgaben der Rahmenempfehlungen anzupassen.

Bei Bedarf stehen wir Ihnen für eine Beratung oder für die Begleitung bei den Vertrags- und Vergütungsverhandlungen gerne zur Verfügung.

Ihre

Anwaltskanzlei
Kälble & Kollegen

Seminar-Aktuelles Pflegerecht am 18.04.2023

RA Kälble hält am 18.04.2023 in der Zeit von 13.00 bis 16.00 Uhr bei der Arbeitsgemeinschaft Privater Heime und Ambulanter Dienste Bundesverband e.V., Karlsruher Str. 2B, 30519 Hannover, ein Seminar zum Aktuellen Pflegerecht. Hier ist der Ausschreibungstext:

Gerade in den letzten Monaten überschlagen sich die Änderungen im Pflegerecht. Um ansatzweise den Durchblick zu behalten, wollen wir einige der brisantesten rechtlichen Änderungen vorstellen und mit den Teilnehmern diskutieren. Folgende Themen sollen besprochen werden:

  • Nachweis-Richtlinien nach § 84 Abs. 7 SGB XI vom 22.02.2023 für den Nachweis der Personalkosten in den Pflegesatzverhandlungen
  • Ergänzungshilfe-Richtlinien nach § 154 SGB XI vom 23.03.2023 (Energierettungsschirm für Pflegeeinrichtungen)
  • Beschluss der PSK Nds. vom 13.03.2023 zur Verrechnung der Ergänzungshilfen
  • Bundesrahmenempfehlungen zur Personalbemessung zu § 113c Abs. 4 SGB XI vom 22.02.2023
  • Nds. HeimmindestbauVO vom 1.10.2022
  • Neues zur Heimentgelterhöhung nach § 9 WBVG – OLG Dresden, Urteil vom  22.08.2022
  • Nochmals: Zustimmungspflicht bei Heimentgelterhöhung – BGH, Urteil vom 12.05.2016
  • Aktuelles Vorgehen von BIVA nach dem UnterlassungsklageG bei Verstößen gegen wirksame Heimentgelterhöhung
  • Welche I-Kosten sind zu zahlen, wenn der Selbstzahler nicht mehr kann, aber noch keine Sozialhilfe greift?
  • Verbot von Reservierungsgebühren – BGH, Urteil vom 15.07.2021

Interessierte, auch Nichtmitglieder des APH, können sich über den APH anmelden.

 

Die Nachweis-Richtlinien gem. § 84 Abs. 7 SGB XI liegen vor!

Mit einer Verspätung von 8 Monaten (!) hat der GKV-Spitzenverband im Einvernehmen mit dem BMAS die Nachweis-Richtlinien nach § 84 Abs. 7 SGB XI Anfang März 2023 vorgelegt. In den Nachweis-Richtlinien soll das Verfahren geregelt werden, wie Pflegeeinrichtungen nachzuweisen haben, dass sie die bei der Vereinbarung der Pflegesätze zugrunde gelegte Bezahlung ihres Pflegepersonals im Rahmen der sog. „Tariftreueregelung“ nach §§ 72, 82 c SGB XI eingehalten haben.

Nach den aktuellen Ergänzungshilfe-Richtlinien zum Energierettungsschirm und dem 1. Entwurf der Nachweis-Richtlinien war erneut ein weiteres „Bürokratiemonster“ zu befürchten. Tatsächlich sind die jetzigen Richtlinien trotz verbleibender Kritikpunkte praktikabel und deshalb zu begrüßen. Es bleibt zwar abzuwarten, wie das Verfahren in der Praxis umgesetzt wird, jedoch scheinen die berechtigten Interessen der Beteiligten ausreichend berücksichtigt und frühere Streitpunkte beseitigt worden zu sein.

Wie wesentlichen Inhalte der Nachweis-Richtlinien sind:

  1. Die Kostenträger stimmen sich beim Nachweisverfahren ab, wobei nur eine Vertragspartei für alle Kostenträger stellvertretend das Nachweisverlangen durchführt.
  2. Das Nachweisverlangen kann sich auf das laufende und/oder auf den zuletzt vergangenen Vergütungszeitraum, längstens aber auf die vergangenen 24 abgeschlossenen Monate vor Zugang des Verlangens (Nachweiszeitraum) beziehen.
  3. Der Nachweiszeitraum beginnt frühestens am 1. September 2022.
  4. Pflegeeinrichtungen, die sich an einen Tarifvertrag orientieren oder das regional übliche Entlohnungsniveau zu Grunde legen, haben zum Nachweis
  • der tarifvertraglichen Entlohnung,
  • der tatsächlichen Zahlung mindestens in Höhe des regional üblichen Entlohnungsniveaus in der jeweiligen Qualifikationsgruppe,
  • zum Nachweis der tatsächlichen Zahlung mindestens in Höhe der Pflegesatz- bzw. Vergütungsvereinbarung zugrunde gelegten Entlohnung,

bezogen auf den Nachweiszeitraum für das in der Pflege und Betreuung eingesetzte Personal

a) anonymisierte Personallisten mit

  • Angabe der Qualifikationsgruppen (ggf. mit Entgeltgruppe und Erfahrungsstufe),
  • der individuellen Wochenarbeitszeit,
  • der darauf beruhenden durchschnittlichen Entlohnung,
  • Ein- und Austrittsdatum der Beschäftigten während des Nachweiszeitraumes,

b) anonymisierte Gehaltsabrechnungen, für alle Beschäftigten je Qualifikationsgruppe,

c) auf Verlangen Auszüge aus anonymisierten Arbeitsverträgen mit Regelungen zur Entlohnung

vorzulegen. Eine Zuordnung der Gehaltsabrechnungen und Arbeitsverträgen zu den Angaben in den Personallisten muss gegeben sein.

Bei berechtigten Zweifeln können ergänzende Unterlagen vorgelegt werden.

  1. Ab dem Nachweisverlangen hat der Träger eine Frist zur Vorlage der Unterlagen von 4 Wochen (= 28 Kalendertage), die in begründeten Fällen verlängert werden kann.
  2. Die Übersendung der Nachweisunterlagen hat in digitaler Form, also per E-Mail, zu erfolgen, soweit Datensicherheit gewährleistet ist (Anm.: Was sich allein aus der Anonymisierung ergeben dürfte.).
  3. Es soll eine schriftliche Mitteilung des Prüfungsergebnisses innerhalb von 8 Wochen nach Eingang der angeforderten Unterlagen erfolgen.

Praxistipp:

Selbst wenn einige Punkte unklar bleiben, können sich jetzt alle Seiten auf das Nachweisverfahren einstellen. Den Einrichtungsträgern ist zu empfehlen, bereits jetzt Personallisten mit mindestens den erforderlichen Angaben zu führen, um diese zeitnah auf Verlangen vorlegen zu können. Erfahrungsgemäß kann dies laufende oder zukünftige Pflegesatzverhandlungen fördern.

Ferner sollte eine einfache Möglichkeit gefunden werden, wie Gehaltsabrechnungen für die Beschäftigten je Qualifikationsstufe anonymisiert eingereicht werden können. Sinnvoll dürfte es jedenfalls sein, nunmehr auf den Gehaltsabrechnungen das Qualifikationsniveau, in dem die jeweilige Person beschäftigt wird, mit in der Gehaltsabrechnung aufzuführen.

Um Widersprüche zu vermeiden und die Verfahren zu verkürzen, sollten Einzelheiten frühzeitig mit Ihren Pflegesatzverhandlern abgestimmt werden.

Der Energierettungsschirm für Pflegeeinrichtungen ist da

… und mit ihm ein weiteres Stück Pflegebürokratie!

Nach § 154 SGB XI erhalten (teil-) stationäre Pflegeeinrichtungen aus dem „Energierettungsschirm“  für Oktober 2022 bis April 2024 die Mehrkosten für Erdgas, Fernwärme und Strom erstattet. Konkret soll die Differenz zwischen der Vorauszahlung aus März 2022 und den jeweiligen monatlichen Abschlagszahlungen ab Oktober 2022 als sog. „Ergänzungshilfe“ innerhalb von 4 Wochen nach vollständiger Antragsstellung von den Pflegekassen gezahlt werden.

Nicht umfasst sind ambulante Pflegedienste, Pflegewohngemeinschaften, Energiekosten für z.B. Öl- oder Holzpelletheizungen und die Mehrausgaben von März bis September 2022.

Mit Stand 22.02.2023 wurden die dazugehörigen „Ergänzungshilfe-Richtlinien“ beschlossen, die das nähere Verfahren regeln sollen.

Wichtig und gleichzeitig unklar ist die Frist, bis wann die Hilfen ab Oktober 2022 beantragt werden müssen. § 154 SGB XI sieht eine Frist von 15 „Tagen“ nach „Vorliegen“ der Richtlinien vor. Wann eine Richtlinie „vorliegt“ ist aber unklar. Beschlossen wurde sie am 22.02.2023, die Veröffentlichung auf der GKV-Seite ist wohl am 23.02.2023 geschehen und das „Inkrafttreten“ erfolgt erst am 01.03.2023.

Auch ist unklar, was mit „Tagen“ gemeint ist. Grundsätzlich gilt als „Tag“ der „Kalendertag“. In Ziff. 3. Abs. (13) der Richtlinie heißt es „spätestens 15 Arbeitstage (Montag bis Freitag) nach Inkrafttreten der Richtlinie“. Das der Samstag nicht als Arbeitstag gilt, scheint bei Behördenmitarbeitern zum Grundverständnis zu gehören.

Die vorstehenden Ausführungen lassen nunmehr einen Korridor für die „spätesteBeantragung vom 09.03.2023 (15 Kalendertage nach dem 22.02.2023) bis zum 22.03.2023 möglich erscheinen, wenn man die 15 Arbeitstage nach dem Inkrafttreten so versteht, dass die 15 Arbeitstage erst am Tag nach dem 01.03.2023, also am 02.03.2023, beginnen.

Der sicherste Weg wäre eine Antragstellung bis zum 09.03.2023. Geht man von einer „Selbstbindung der Verwaltung“ durch die Richtlinien aus, könnte auch noch eine Antragstellung bis zum 22.03.2023 „rechtzeitig“ sein. Die Lösung werden in einigen Jahren die Sozialgerichte veröffentlichen.

Ab Februar bzw. März 2023 sind dann alle Anträge spätestens jeweils bis zum 15. des Folgemonats bei der zuständigen Pflegekasse zu stellen.

Wichtig ist auch, dass die Antragstellungvollständig“ erfolgt, wobei diverse Zusatzinformationen, Unterlagen und Versicherungen gefordert werden, die individuell zu bearbeiten sind.

Ein Stück aus dem „Tollhaus“ der Pflegebürokratie ist dann noch die Form für die Geltendmachung. So sehen die Richtlinien in Ziff. 3 Abs. (2) Textform vor, fordern aber gleichzeitig eine „Unterschrift des Einrichtungsträgers“ wobei eine originalgetreue Nachbildung (Faksimile) ausreichend sein soll, um dann zu regeln, dass der Antrag in „elektronischer Form“ eingereicht werden soll. Jedem Juristen, der zumindest im 1. Semester aufgepasst hat, stellen sich dabei die „Nackenhaare“ auf. Jedenfalls ist unerklärlich, warum § 126 BGB (Schriftform), § 126 a BGB (Elektronische Form) und § 126 b BGB (Textform) sinnlos vermischt und in eine „GKV/BMG-Richtlinienform“ gepanscht werden.

Zu beachten ist auch, dass jede Pflegeeinrichtung nach Ziff. 6. der Richtlinie verpflichtet ist, bis zum 31.12.2023 eine Energieberatung durch einen Gebäudeenergieberater durchführen zu lassen, da ansonsten die Erstattungsbeträge für Januar bis April 2024 um jeweils 20% gekürzt werden.

Praxistipp:

Die Einführung des Energierettungsschirms ist eine gute Sache, um die wirtschaftliche Existenz von Pflegeeinrichtung zu sichern.

Aufgrund der neuen bürokratischen Hürden sollte sich jedoch jede Pflegeeinrichtung unbedingt kurzfristig mit den komplizierten Vorgaben auseinandersetzen und dringend die Fristen einhalten, um finanzielle Verluste zu vermeiden.

Dass der GKV-Spitzenverband und das BMG aus den vielen Versäumnissen der letzten 3 Jahre bei den Formulierung der Richtlinien nichts gelernt haben, bleibt bedauerlich und mindert die Hoffnung, dass die Pflegebürokratie nicht noch weiter wächst. „Bürokratieabbau“, um wieder Zeit für die wichtigen Aufgaben in der Pflege zu bekommen, bleibt eine hohle Phrase.

Neue Heimmindestbauverordnung in Niedersachsen

70% Einzelzimmerquote in nds. Pflegeeinrichtungen ab 2033

Als ob die Einrichtungsträger in der Pflege nach 3-Jahren Corona-Pandemie, Personalnotstand, Impfpflicht, Tariftreue, Preisexplosionen, neue Personalbemessung usw. nicht schon genug belastet wären, tritt in Niederachsen zum 01.10.2022 eine neue HeimmindestbauVO in Kraft.

In der „Verordnung über bauliche Anforderungen für unterstützende Einrichtungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über unterstützende Wohnformen (NuWGBauVO)“ vom 20.09.2022, wird nunmehr auch für Niedersachsen vorgeschrieben, dass mindestens 70% der Wohneinheiten nur noch durch eine Person genutzt werden dürfen. Übersetzt heißt das, dass mindestens 70% aller Wohneinheiten Einzelzimmer sein müssen. Wohneinheiten für mehr als 2 Personen sind nicht zulässig.

Die Grundfläche für ein Einzelzimmer muss mindestens 14 m² und für eine Doppelzimmer mindestens 22 m² haben.

Hinzu kommen diverse Vorgaben für Schmutzräume, Räume für gemeinschaftliche Zwecke, Therapieräume, Sanitärräume und Pflegebäder.

Die Pflicht bettlägerige Bewohner durch die Flure und Türen in fast alle Räume verlegen zu können, gehört nunmehr genauso dazu, wie die Fenster bei Bedarf nur noch in Kippstellung öffnen zu können oder Badewannen, Duschen und Handwaschbecken mit Verbrühschutz sowie bei Mehrpersonennutzung die Bäder und Duschen mit Sichtschutz auszustatten.

Nicht stufenlos zugängliche Bereiche müssen mit Aufzügen in ausreichender Zahl ausgestattet werden.

In allen Wohnschlafräumen muss Hörfunk- und Fernsehempfang sowie die Internetnutzung möglich sein.

Verstöße werden mit einem Bußgeld geahndet.

Als Übergangszeit wurde u.a. für den Verbrühschutz, Fenstersperre und Internet ein Zeitraum bis zum 31.12.2025 vorgegeben. Die restlichen baulichen Maßnahmen müssen bis zum 31.12.2032 umgesetzt werden, wobei es in Einzelfällen eine Verlängerung von 3 Jahren geben könnte, die frühestens ab Anfang 2030 geltend gemacht werden kann.

Praxistipp:

Während in neuen Pflegeimmobilien die Vorgaben bereits umgesetzt sein dürften, werden viele ältere Pflegeeinrichtungen vor kaum lösbare bauliche Maßnahmen stehen. Ob der Umbau und Betrieb solcher älteren Einrichtungen wirtschaftlich tragfähig ist, kann bezweifelt werden. Insoweit kann die „Flucht in das betreute Wohnen“ oder die Schließung der Einrichtung eine bedenkenswerte Option sein.

Während alle Beteiligten über eine Explosion der Pflegekosten lamentieren, ist die Verpflichtung zu kostspieligen Umbaumaßnahmen sicherlich nicht geeignet, die Kosten für die Bewohner, Beitrags- und Steuerzahler überschaubar zu halten.

Wichtig wird für die verbleibenden Einrichtungsträger sein, sowohl frühzeitig erforderliche Umbaumaßnahmen zu planen als auch die Kosten rechtzeitig mit dem Sozialhilfeträger zu verhandeln, um ausreichende Investitionskosten zu erhalten. Für energetische Sanierungen werden dabei kaum noch Ressourcen verbleiben.