Pflegelöhne steigen deutlich

Chaos in der AKI

Fachkraftquote unter 50% – Spagat zwischen Kostenträger und Heimaufsicht

Das Problem

Derzeit kommt es zu vielen Diskussionen zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und den Heimaufsichten, da die Fachkraftquote von 50% der beschäftigten Mitarbeiter in der Pflege häufig nicht mehr eingehalten wird.

Dass die Einrichtungsträger derzeit zwischen „Baum und Borke“ sitzen, ist einerseits dem etwas fortschrittlicherem Bundesgesetzgeber und andererseits den behäbigeren Landesgesetzgebern zu verdanken.

Gesetzliche Regelung

Im Rahmen der neuen Personalbemessung nach § 113 c SGB XI erhalten die Einrichtungsträger die Möglichkeit, flexibler den Qualifikationsmix in der Pflege zu gestalten und die starre Fachkraftquote von 50% zu unterschreiten.

Dies wurde durch die gemeinsamen Rahmenempfehlungen zu § 113c Abs. 4 SGB XI zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Trägerverbänden bestätigt. In Ziff. (4) iVm Ziff. (1) heißt es deutlich, dass die Fachkraftquote gemäß den ordnungsrechtlichen Bestimmungen der Länder nur für die Mindestpersonalausstattung gilt, die sich aus den jeweils (möglichst ab dem 01.07.2023) aktualisierten Landesrahmenverträgen und hilfsweise aus den einrichtungsindividuellen Pflegesatzvereinbarungen ergibt.

Regelung in Niedersachsen

Während in einigen Bundesländern immer noch keine Einigung zur Mindestpersonalausstattung gefunden werden konnte, setzt z.B. Niedersachsen die gesetzlichen Vorgaben vorbildlich um. So wird zum einen im Landesrahmenvertrag ein Korridor zwischen Mindest- und Maximalpersonalausstattung geregelt und zum anderen in den Pflegesatzvereinbarungen ausdrücklich der Bezug der Fachkraftquote nur auf die Mindestpersonalausstattung hergestellt. So heißt es in der Muster-PSV:

Im Bereich der Pflege und Betreuung beträgt der stets vorzuhaltende Anteil an Fachkräften 50% der Personalmenge, die sich aus den Mindestschlüsseln gemäß § 21 Abs. 3 der Rahmenvereinbarung ergibt.

Dieses Aufbrechen der starren Fachkraftquote ist nicht nur eine Umsetzung der KAP-Empfehlungen, sondern gerade in Zeiten des akuten Pflegepersonalmangels dringend geboten.

Verhalten der Heimaufsichten

Es war bisher schon nicht verständlich, wenn Heimaufsichten die Nichteinhaltung der Fachkraftquote monierten, nur weil der Träger trotz Einhaltung des mit den Kostenträgern vereinbarten Personalschlüssels mehr Hilfs- als Fachkräfte beschäftigte. Die von (uneinsichtigen) Heimaufsichten geforderte, aber absurde Folge war dann, die überzähligen Hilfskräfte zu entlassen.

Diese Praxis hat der Gesetzgeber bewusst beendet und den Einrichtungsträgern ermöglicht, sich nicht mehr an eine starre 50% Quote halten zu müssen. Vielmehr soll durch einen einrichtungsindividuellen Personalmix das Personal dort eingesetzt werden, wo es am sinnvollsten benötigt wird. So sollen besonders die Pflegefachkräfte mehr Behandlungspflege und zukünftig Vorbehaltsaufgaben übernehmen, während Pflegehelfer für die Grundpflege zuständig sind.

Leider sind diese Neuerungen noch nicht bei allen Heimaufsichten angekommen, so dass diese trotzdem noch Aufnahmestopps anordnen, wenn nicht 50% aller Pflegemitarbeiter Pflegefachkräfte sind, selbst wenn der landes- oder einrichtungsspezifische Mindestpersonalbedarf an Pflegefachkräften gedeckt wäre

Handlungsmöglichkeiten der Pflegeeinrichtung

Sicherlich kann es in solchen Fällen sinnvoll sein, dem jeweiligen Sachbearbeiter der Heimaufsicht durch geduldiges Erklären die neue Rechtslage verständlich zu machen und auf Einsicht zu hoffen.

Soweit in den jeweiligen Heimgesetzen Ausnahmeregelungen von der starren 50%-Quote eingeräumt werden, sollte vorsorglich ein Antrag auf Abweichung von der Fachkraftquote gegenüber der Heimaufsicht gestellt werden.

Gelingt dies nicht, wird die Einrichtung nicht umhinkommen, den bekanntgegebenen Verwaltungsakt (z.B. Aufnahmestopp, Maßnahmebescheid) mit den landespezifischen Rechtsbehelfen (z.B. Widerspruch oder Klage) fristgerecht (meist 1 Monat) anzugreifen.

In diesem Fall sollte der Behörde im jeweiligen Einzelfall ein Ermessensfehler vorgeworfen werden, weil das Festhalten an der starren Fachkraftquote nicht verhältnismäßig ist und auch nicht dem Wohl und Schutz der Bewohner dient.

Vorsorglich könnte der Heimaufsicht, wenn sich diese auf die länderspezifische Norm zur Fachkraftquote beruft, z.B. unter Verweis auf die neuen Regelungen im SGB XI, verfassungswidriges Handeln unterstellt werden.

Allein die Überlegung, dass nach dem bundesweiten Pflegeversicherungsrecht eine Unterschreitung der Fachkraftquote von 50% rechtmäßig, aber nach Länderrecht rechtswidrig sein soll, sollte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes deutlich machen.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Einzelfall, z.B. bei wesentlichen Qualitätsmängeln, der Verwaltungsakt nicht doch rechtmäßig sein könnte.

Praxistipp:

Wenn Sie als Einrichtung eine Fachkraftquote von unter 50% mit den Kostenträgern in der Pflegesatzvereinbarung vereinbart haben, sollte es möglich sein, die jeweilige Heimaufsicht von der rechtmäßigen Unterschreitung der länderspezifischen Fachkraftquote zu überzeugen, vorsorglich ist ein Antrag auf Abweichung von der Fachkraftquote zu stellen. Gelingt dies nicht, sollte mit anwaltlicher Hilfe die Maßnahme der Heimaufsicht überprüft werden.

Wird die starre Fachkraftquote von 50% unterschritten, obwohl (noch) keine abweichende Vereinbarung mit den Kostenträgern vorliegt, sollte dennoch vor dem Hintergrund der bundesweiten Regelung zu § 113c SGB XI und den Rahmenempfehlungen die Auffassung bzw. Maßnahme der Heimaufsicht hinterfragt und ggf. gerichtlich überprüft werden.

Wir haben jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass in den allermeisten Fällen eine sachliche und argumentativ geführte Auseinandersetzung mit der Heimaufsicht der schnellste und für die Einrichtung günstigste Weg ist. Erst wenn sich die Positionen unauflösbar verfestigt haben, kann die Einlegung von Rechtsbehelfen die Sache fördern, da dann auch auf Seiten der Verwaltung juristisch besser geschulte Mitarbeiter die Sach- und Rechtslage überprüfen.

Wünschenswert bleibt, dass auch die Bundesländer auf die neue Rechtslage reagieren und ihre Heimgesetze anpassen.

BSG stärkt Gewinnanspruch von stationären Pflegeeinrichtungen

Mit seiner Entscheidung vom 19.4.2023 eröffnet das BSG stationären Pflegeeinrichtungen die Möglichkeit, einen angemessenen Gewinnzuschlag (sog. Wagniszuschlag, Unternehmerrisiko, Unternehmerlohn usw.) auf alle Gestehungskosten, also auch auf Unterkunft und Verpflegung, bei Pflegesatzverhandlungen zu vereinbaren.

Während nach der Entscheidung vom 26.09.2019 die Hürden für die Vereinbarung eines solchen Gewinnzuschlages vom BSG stark heraufgesetzt wurden, hat der 3. Senat des BSG in seiner aktuellen Entscheidung diese Hürden wieder deutlich herabgesenkt.

Die wesentlichen Eckpunkte der Entscheidung sind:

  1. Bestätigung, dass Pflegesatzverhandlungen in einem zweigliedrigen Prüfungsschema durchzuführen sind:
    • Erste Schritt: Abschätzung der voraussichtlichen Kosten in der Pflegeeinrichtung für die bevorstehende Pflegesatzperiode (Prognose).
    • Zweite Schritt: Prüfung der Leistungsgerechtigkeit.
  2. Die Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein. Leistungsgerecht sind die Pflegesätze, wenn
    • die voraussichtlichen Gestehungskosten der Einrichtung nachvollziehbar und plausibel dargelegt werden und sie
    • unter Berücksichtigung einer angemessenen Gewinnchance
    • in einer angemessenen und nachprüfbaren Relation zu den Sätzen anderer vergleichbarer Einrichtungen stehen (externer Vergleich).
  3. Geltend gemachte Pflegesätze sind demnach nicht angemessen, wenn die Kostenansätze und erwarteten Kostensteigerungen nicht plausibel erklärt werden können oder die begehrten Sätze im Verhältnis zu anderen Pflegeeinrichtungen unangemessen sind.
  4. Anders als 2019 erkennt das BSG jetzt auch an, dass eine angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos nicht nur auf die Pflegesätze, sondern auch auf die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung anzusetzen ist.
  5. Insoweit können die Einrichtungsbetreiber in den Vergütungsvereinbarungen Positionen zur Abgeltung des unternehmerischen Wagnisses, Gewinns und Unternehmerlohns verhandeln. Dies gilt für alle Gestehungskosten, mit Ausnahme der nach § 82 Abs. 2 SGB XI getrennt zu verhandelnden Investitionskosten (sog. I-Kosten).
  6. Grundsätzlich sind solche Gewinnerwartungen nicht bereits in die Gestehungskosten einzubeziehen, sondern gesondert zu verhandeln. Dies folgt daraus, dass die Gestehungskosten nachvollziehbar und plausibel darzulegen sind.
  7. Über die Bemessung der angemessenen Gewinnchance als Teil der Pflegesätze und der Entgelt für Unterkunft und Verpflegung, darf eine Schiedsstelle nach pflichtgemäßen Ermessen ohne Bindung an ein bestimmtes bundesrechtlich vorgegebenes Verfahren entscheiden.
  8. Die Realisierung von Gewinnchancen könnte z.B. über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz geschehen oder über die Auslastungsquote gesteuert werden, sofern diese im Vergleich zu anderen Einrichtungen realistisch angesetzt wird.
  9. Auch die Auslagerung von Leistungen auf Dritte können eigene Unternehmerrisiken begründen.
  10. Am strengen umfangreichen Amtsermittlungsgrundsatz der Schiedsstelle hält das BSG nicht mehr fest, sondern hält es für ausreichend, dass sich die Schiedsstelle auf den Vortrag der Parteien beschränken darf, soweit sie nicht selbst Zweifel am unterbreiteten Sachstand hat oder darauf substantiiert hingewiesen wird.
  11. Dem Schiedsspruch muss zu entnehmen sein, dass die von ihr festgesetzten Pflegesätze und Entgelte einem abschließenden Vergleich mit den Vergütungen anderer Einrichtungen unterzogen wurde.

Praxistipp:

Mit der aktuellen Entscheidung hat das BSG für mehr Klarheit bei den Pflegesatzverhandlungen gesorgt und gleichzeitig die Position der Pflegeeinrichtungen gestärkt. Nunmehr ist eindeutig, dass ein Anspruch auf einen Gewinnzuschlag nicht nur auf die Pflegesätze, sondern auch bei Unterkunft und Verpflegung aufzuschlagen ist.

Der Wermutstropfen bleibt, dass das BSG keine Angaben zur Höhe und zur Ermittlung eines solchen Unternehmerlohnes gibt. Allerdings hat es den von der Schiedsstelle Schleswig-Holstein angewendeten Ansatz, auf der Grundlage der IEGUS-Studie einen Unternehmergewinn von grds. 4,96 % anzusetzen, nicht vollständig beanstandet. Allerdings bleibt die Schiedsstelle verpflichtet, die Angemessenheit des angesetzten Wagniszuschlages mit anderen Pflegeeinrichtungen zu vergleichen. Da der Unternehmerlohn bisher stiefmütterlich behandelt wurde, wird es in den nächsten Jahren darauf ankommen, diesen Anspruch in den Pflegesatzverhandlungen substantiiert und verstärkt einzufordern.

Pflegeeinrichtungen bleiben deshalb gut beraten, ihre Zahlen für die Pflegesatzverhandlungen gut aufzubereiten und ihre berechtigten Interessen auch notfalls in der Schiedsstelle durchzusetzen. Die Erfahrung zeigt aber, dass bei einer guten Darlegung der Zahlen die Kostenträger bereit sind, eine auskömmliche Vergütung zu vereinbaren. Nur wenn der Pflegeheimbetreiber diese Vorarbeiten scheut und sich nicht mit der aktuellen Rechtslage auseinandersetzt, bleibt die Gefahr, von den Kostenträgern nicht die Pflegevergütung zu erhalten, die angemessen und erforderlich wäre.

Es ist deshalb empfehlenswert, sich bei Pflegesatzverhandlungen professionell begleiten zu lassen. Wir unterstützen Sie dabei bundesweit.