Tarifübersichten und Pflegevergütungs-Richtlinien liegen vor

Mit einiger Verzögerung wurden nunmehr die Tarifübersicht über die in der Pflege angewendeten Tarifverträge und die dazugehörigen Richtlinien nach § 72 und § 82 c SGB XI veröffentlicht.

Dies war notwendig, weil der Gesetzgeber mit der aktuellen Pflegereform einen faktischen Tarifzwang eingeführt hat. Ab dem 01.09.2022 dürfen ambulante Pflegedienste, Tagespflegen und stationäre Pflegeheime nur einen Versorgungsvertrag haben, wenn sie tarifliche oder tarifähnliche Gehälter zahlen. Obwohl die Richtlinien und Tarifübersichten mit Spannung erwartet wurden, muss sich nun Ernüchterung einstellen. Die Landesverbände der Pflegekassen haben nicht wie gehofft eine Übersicht über die Entlohnung der in den Bundesländern angewendeten Tarifverträge veröffentlicht, sondern in einer nicht nachvollziehbaren und wenig transparenten Berechnung für jedes Bundesland Durchschnittswerte ermittelt. Dies ist bedenklich, weil sich zum einen nach Pressemitteilungen wohl nur ein Bruchteil der tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen an der Datenerfassung beteiligt haben und zum anderen gar nicht alle tarifrelevanten Vergütungsbestandteile ermittelt wurden. Allerdings

„jammern hilft nicht“.

Die Einrichtungsträger müssen nun bis zum 28.02.2022, wobei die Frist wohl „inoffiziell“ bis zum 31.03.2022 verlängert wurde, über die Datenclearingstelle (DCS) melden, welchen Tarifvertrag sie anwenden oder an welchen Tarifvertrag sie sich anlehnen wollen.

Ein Grund für ausgiebige Diskussionen wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein, welche Vergütung anzusetzen ist, wenn die nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtung einen Tarifvertrag wählt, der das von den Pflegekassen ermittelte, regional übliche Entgelt um mehr als 10% überschreitet.

Aktuell wurden folgende Durchschnittswerte für Niedersachsen veröffentlicht:

  • Pflegehilfskräfte ohne Ausbildung 16,18 €
  • Pflegeassistenten mit mind. 1-jähriger Ausbildung 18,48 €
  • Pflegefachkräfte mit mind. 3-jähriger Ausbildung 22,15 €
  • Regional übliches Entgeltniveau 19,29 €

Ferner wurden folgende pflegetypische Zulagen ermittelt:

  • Nachtarbeit 15,98 %
  • Sonntagsarbeit 25,55 %
  • Feiertagsarbeit 57,21 %
  • Schichtarbeit- und Wechselschichtarbeit 2,36 %
  • Flexibilitätszuschlag 1,99 %
  • Bereitschaftsdienst- und Rufbereitschaft 11,94 %

Auch wenn dies nicht ausdrücklich erläutert wird, kann man aus § 4 Abs. 2 der Pflegevergütungs-Richtlinie schließen, dass es sich um das Arbeitnehmerbrutto handeln soll.

Nach unserer Auffassung haben die Kostenträger das Tarifentgelt zu akzeptieren, welches sich aus dem gewählten Tarifvertrag ergibt, soweit der räumliche und personelle Geltungsbereich eröffnet ist. Die Kostenträger haben dann keine Befugnisse, diese Entgelte mit der Begründung abzulehnen, die Gehälter seien regional unüblich.

Der tariflichen Vergütung ist der regionalen Üblichkeit den Vorzug zu geben.

Hinzu kommen diverse Einzelfragen, insbesondere inwieweit Durchschnittsvergütungen erlaubt bleiben oder vom Tarifvertrag abweichende Vergütungsbestandteile (z.B. Gutscheine, bAV, Leistungszulagen, Anwesenheitsprämien, Dienstwagen) weiterhin gewährt werden dürfen, wenn der Tariflohn insgesamt erreicht wird.

Hier wird es in den nächsten Monaten und Jahren noch viel Abstimmungsbedarf geben, welcher wahrscheinlich durch Schiedsstellen- und Gerichtsentscheidungen zu klären sein wird.

Eine besondere Hausforderung bleibt auch die unterschiedliche Vergütung des Pflege- und Betreuungspersonals einerseits und des sonstigen Personals andererseits. Die Kostenträger zeigen zu diesem Thema eine deutlich ablehnende Haltung. Deshalb sollten Einrichtungsträger in den Pflegesatzverhandlungen unter Verweis auf § 84 Abs. 2 SGB XI darauf bestehen, dass auch das sonstige Personal nach dem gemeldeten Tarifvertrag zu entlohnen ist.

Die Einrichtungsträger sollten die verbleibende Zeit nutzen, sich für einen Tarifvertrag zu entscheiden und die Möglichkeiten ermitteln, die der jeweilige Tarifvertrag bietet. Viele Tarifverträge weichen z.B. von den drei Entgeltgruppen und den pflegetypischen Zulagen ab und bieten die Möglichkeit differenzierte Vergütungsregelungen umzusetzen.

Auch sollte die konkrete Vergütung nach dem jeweiligen Tarifvertrag ermittelt und nicht einfach die nun veröffentlichte Durchschnittsvergütung, ggf. + 10%, gewählt werden.

Ist eine Entscheidung getroffen, muss nicht bis zum 01.09.2022 gewartet werden. Ist die laufenden Pflegesatzperiode bereits beendet oder endet diese vor September, sollten bereits jetzt neue Pflegesätze kalkuliert und zu Pflegesatzverhandlungen aufgefordert werden.

Auf die Einrichtungsträger kommen wie befürchtet umfangreiche Zusatzarbeiten zu.

Lassen Sie den Kopf nicht hängen.

2022 besteht die Möglichkeit erhebliche Steigerungen bei den Pflegesatzverhandlungen durchzusetzen. Dies wird in den nächsten Jahren kaum noch möglich sein, da dann aller Voraussicht nach nur noch Tarifsteigerungen bewilligt werden.

Gerne stehen wir Ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

Ihre
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Kälble & Kollegen