Krankheitsdiagnosen offenbaren?

Wann müssen Arbeitnehmer Krankheitsdiagnosen offenbaren?

Werden Arbeitnehmer arbeitsunfähig, wünschen die meisten Arbeitgeber gute Besserung und hoffen auf eine baldige Wiederkehr. Der Gesetzgeber sichert erkrankten Arbeitnehmern Entgeltfortzahlungsansprüche und meistens einen erhöhten Kündigungsschutz zu. In der Regel soll der Arbeitgeber nicht erfahren, woran der Arbeitnehmer erkrankt ist, weil es sich um sensible und persönliche Daten handelt. Hiervor gibt es aber Ausnahmen, die oft nicht bekannt sind und Anlass zu vermeidbaren Streitigkeiten geben. Wir wollen eine kurze Übersicht über einige Fallkonstellationen geben, in denen Arbeitnehmer grds. verpflichtet sind Krankheitsdiagnosen zu offenbaren:

Zweifel an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Haben Arbeitgeber berechtigte Zweifel an einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB), kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung zunächst verweigern. Der Arbeitnehmer muss dann diese Zweifel ausräumen, indem er darlegt und beweist, dass die attestierte Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorlag. Dazu wird er regelmäßig zur Erkrankung vortragen und den Arzt von der Schweigepflicht entbinden müssen. Zweifel an einer AUB können z.B. vorliegen:

  • Rückdatierung der AUB von mehr als 3 Tagen,
  • häufige Erkrankungen vor bzw. nach Urlauben oder arbeitsfreien Wochenenden,
  • angekündigte Erkrankungen, gerade nach Streit im Unternehmen,
  • langfristige Erkrankungen die nur durch Hausarzt, aber nicht durch Facharzt bestätigt werden,
  • widersprüchliche Angaben zu einem Unfallhergang oder
  • genesungswidriges Verhalten.

Streit über Erst- oder Fortsetzungserkrankung

Überschreiten innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten die Zeiten der Entgeltfortzahlung mehr als 42 Tage, weil der Arbeitnehmer wiederholt Erstbescheinigungen vorlegt, ist der Arbeitgeber berechtigt, zunächst die Entgeltfortzahlung zu verweigern (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 EfzG). Er kann den AN auffordern Sachverhalte bzw. Diagnosen konkret vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass es sich tatsächlich um neue Erkrankungen handelt und nicht nur um Symptome, die auf dieselbe Grunderkrankung (Epilepsie, MS, Psychosen usw.) beruhen. In diesem Fall wäre es eine Fortsetzungserkrankung, die nach 42 Tagen – innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten – eine Entgeltfortzahlung ausschließt. Im Streitfall hat der Arbeitnehmer seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Einfache Erklärungen der Krankenkasse oder des Arztes, dass die Krankheiten in keinem Zusammenhang stünden, sind nach der Rechtsprechung des BAG nicht ausreichend.

Einheit des Verhinderungsfalles

Überschneiden sich verschiedene Krankheiten, wird von einer einheitlichen Erkrankung ohne Entgeltfortzahlung nach 42 Tagen ausgegangen. Streitig werden Sachverhalte, wenn zwischen zwei Erkrankungen wenige arbeitsfreie Tage (z.B. Wochenende) liegen. Das BAG fordert bei streitigen Konstellationen eine Darlegung des Arbeitnehmers, ob die eine Erkrankung bereits ausgeheilt war, also nicht mehr zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, und die nächste Erkrankung erst nach der ausgeheilten Erkrankung begonnen hat (z.B. Unfall auf dem Weg zur Arbeit). Auch hier wird der AN die Krankheiten darzulegen und ggf. zu beweisen haben.

Krankheitsbedingte Kündigung

Ist der Arbeitnehmer häufig (mehrere Jahre mehr als 6 Wochen im Jahr), bereits länger (regelmäßig länger als 12 Monate) oder absehbar noch mindestens 24 Monate arbeitsunfähig, kann der Arbeitgeber hieraus eine negative Prognose ableiten und ggf. das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten, also krankheitsbedingten, Gründen kündigen. Der Arbeitnehmer muss dann darlegen, dass er trotz der negativen Prognose eine positive Gesundheitsprognose hat, da er in absehbarer Zeit wieder arbeitsfähig wird bzw. zukünftig nicht mehr mit erheblichen Krankheitszeiträumen zu rechnen ist. Dazu wird der Arbeitnehmer regelmäßig die Krankheiten offenbaren und seine Ärzte von der Schweigepflicht entbinden müssen. Unabhängig davon, wird in aller Regel der Arbeitgeber gut beraten sein, vor einer solchen Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, um sich nicht vorhalten zu lassen, er hätte mit der Kündigung unverhältnismäßig gehandelt.

Praxistipp:

Die Arbeitsunfähigkeit im Arbeitsverhältnis ist ein schwieriges und sensibles Thema. Während regelmäßig Arbeitgeber die Genesung ihrer Arbeitnehmer fördern wollen, können häufige bzw. längere Erkrankungen oder Erkrankungen nach Auseinandersetzungen den Wunsch des Arbeitgebers nach Gewissheit wecken. Je nach Einzelfall ist dann der Arbeitnehmer verpflichtet, Angaben zu seinen Erkrankungen zu geben und diese zu belegen. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sollten sich in solchen Situationen qualifiziert anwaltlich beraten lassen, um finanzielle Nachteile zu vermeiden oder aus Sicht des Arbeitnehmers den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht zu gefährden.

RA Kälble hält sowohl in der Anwaltsfortbildung als auch bei Unternehmen Schulungen, um solche Zweifelsfragen erkennen und praxistauglich lösen zu können.