Arbeiten gefährdet die Gesundheit
Das neue Arbeitszeitrecht des BAG
Am 13.9.2022 vertrat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die Auffassung (1 ABR 22/21), dass sich bei europarechtskonformer Auslegung eine Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ergebe.
Bisher ist lediglich in § 16 Abs. 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) die Verpflichtung geregelt, Arbeitszeiten über 8 Stunden täglich aufzuzeichnen.
Aus § 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 1 ArbSchG ergibt sich, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsschutzes die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, um eine Gefährdung für das Leben und die Gesundheit der Mitarbeiter möglichst zu vermeiden.
Nach dem BAG soll dazu auch die Zeiterfassung ab der ersten Minute gehören. Zwar liegen die ausführlichen Urteilsgründe noch nicht vor, jedoch sorgt das Urteil bereits jetzt für große Unruhe.
Die Entscheidung kann vorläufig so interpretiert werden, dass der Arbeitgeber Maßnahmen zu treffen hat, um die Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer zu erfassen. Eine Übertragung der Aufzeichnungspflicht auf den Arbeitnehmer soll zumindest nach Willen des EuGH im „Stechuhr-Urteil“ (EuGH, C-55/18) nicht möglich sein.
Damit könnten alternative Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice kaum noch umsetzbar sein. Hinzu kommt weiterer bürokratischer und finanzieller Aufwand.
Für Pflegeeinrichtungen dürfte die Aufzeichnungspflicht durch einen entsprechenden Dienstplan erfüllt werden können.
Unklar ist, ob und ggf. wie Verstöße geahndet werden können, da ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht der werktäglichen Arbeitszeit noch nicht bußgeldbewehrt ist. Ggf. können die Aufsichtsbehörden Maßnahmen nach § 22 ArbSchG erlassen, was jedoch aktuell unwahrscheinlich ist.
Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber in dieser Frage Klarheit schafft. Die bereits seit mehreren Jahren andauernde Diskussion zu diesem Thema ist allerdings entmutigend. Zudem ist zu befürchten, dass der Gesetzgeber sich der Entscheidung des BAG „anschließt“ und meinen könnte, dass durch § 3 ArbSchG bereits alles geregelt sei.
Praxistipp:
Pflegeeinrichtungen sollten den Dienstplan auch auf das „sonstige Personal“ ausdehnen und darauf achten, dass Überstunden aufgezeichnet werden. Dringend zu empfehlen ist, dass Arbeitszeitkonten in Schriftform vereinbart werden. Rechtlich ist es zulässig, bis ca. 10% der Arbeitszeit (bei einer 40 Std.-Woche bis zu 4 Stunden) als unbezahlte Überstunden zu vereinbaren, soweit der Mindestlohn eingehalten ist.