UG verhindert keine Scheinselbständigkeit in der Pflege
Das BSG hat am 20.07.2023 in drei Entscheidungen das Aus für die 1-Personen UG und GmbH in der Pflege besiegelt.
Bereits mit den Entscheidungen vom 07.06.2019 vertrat das Bundessozialgericht (BSG) die Auffassung, dass es bis auf ganz wenige Ausnahmen keine freiberufliche Tätigkeit in der stationären Pflege geben könne. So seien die Mitarbeiter praktisch immer in den Pflegebetrieb eingegliedert und würden der Rechtsmacht der Einrichtung unterliegen, da ansonsten keine ordnungsgemäße Pflege praktiziert werden könne.
Aufgrund des Personalnotstandes und immer teurer werdenden Zeitarbeitskräften, bieten dennoch weiterhin „freiberufliche Mitarbeiter“ ihre Tätigkeit für Pflegeeinrichtungen an. Ein formaler Ausweg schien die Gründung einer Unternehmergesellschaft (UG) oder sogar einer GmbH zu sein, die dann als sog. juristische Personen ihre (einzigen) Gesellschafter-Geschäftsführer der Pflegeeinrichtung überlassen haben. Da dieser Gesellschafter-Geschäftsführer kein Arbeitnehmer der UG/GmbH war, ging die Rechtsprechung davon aus, dass keine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG vorläge.
Das OLG München hat noch mit Beschluss vom 21.02.2023 die Berufung einer Pflegeeinrichtung zurückgewiesen, die sich gegen überhöhte Honorarforderungen einer UG gewehrt hatte. Das OLG München sah keine grundsätzliche Bedeutung und führte unter Verweis auf die Rechtsprechung des BSG vom 24.11.2005, des Hessischen LSG vom 18.11.2021 und des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.11.2021 aus, dass auch im Sozialrecht eine verfassungsrechtliche und zivilrechtliche Verpflichtung bestehe, die vom bürgerlichen Recht gewährleistete und ausgestaltete Existenz und Handlungsfähigkeit juristischer Personen zu achten. Eine UG nutze deswegen eine vom Gesetz eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit.
Dieser Auffassung ist das BSG nun in drei Entscheidungen entgegengetreten. Ausweislich der Terminsberichte vom 20.07.2023 kann auch der von einer 1-Personen UG (BSG B 12 BA 1/23 R) oder 1-Personen GmbH (B 12 R 15/21) zur Dienstleistung überlassene Gesellschafter-Geschäftsführer der Sozialversicherungspflicht im Pflegebetrieb des Auftraggebers unterliegen, wenn „der weisungsgebundene Einsatz geeigneter Personen zur Kranken-/Altenpflege allein im Interesse der Krankenhaus-/Pflegeeinrichtungsträgerin und unter Eingliederung in die Organisation des Krankenhauses/der Pflegeeinrichtung geschieht“.
Praxistipp:
Auch wenn die schriftlichen Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, ergibt sich aus den Terminsberichten, dass die 1-Personen UG/GmbH, die ihre Gesellschafter-Geschäftsführer zu Dienstleistungen in anderen Betrieben einsetzen, keine Sozialversicherungspflichten zwischen dem Gesellschafter-Geschäftsführer und dem Auftraggeber (z.B. Krankenhaus, Pflegeeinrichtung) verhindern können. Selbst vertragliche Absprachen, wonach keine Weisungsgebundenheit bestehen soll, werden vom BSG nicht akzeptiert. Die 2005 noch ausgeführte Pflicht zur Beachtung der zivilrechtlich zulässigen Gestaltungsformen, ist damit im Sozialversicherungsrecht nicht mehr existent.
Mit der immer restriktiveren Rechtsprechung des BSG zur „Scheinselbständigkeit“, werden damit praktisch jegliche Ausübungsformen einer Selbständigkeit im Bereich der Pflege, sofern diese Tätigkeit nicht auf eigene Rechnung gegenüber den Pflegebedürftigen ausgeübt wird, faktisch verboten.
Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind auch in der größten Personalnot gut beraten, weder freie Mitarbeiter noch 1-Personen UG/GmbH zu beauftragen. Als Alternativen kommt
- die ggf. frühzeitige Einleitung eines zeitaufwendigen bürokratieüberbordenden Statusverfahrens nach § 7a SGB IV in Betracht, wenn der Auftragnehmer seine Zustimmung zur verschobenen Beitragsentstehung erteilt,
- die Nutzung von Arbeitnehmerüberlassung, auch wenn diese praktisch nicht mehr refinanzierbar ist und damit die Insolvenzgefahr von Pflegeeinrichtungen drastisch fördert, oder
- eine Verlegung der Pflegebedürftigen in andere Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen.
Gerade die beiden letzten Alternativen können wegen den damit verbundenen Gesundheitsgefahren für die Pflegebedürftigen nicht gewollt sein. Sie sind jedoch offensichtlich die Folge, dass die Politik durch überbordende Bürokratie, die vom 12. Senat des BSG äußerst streng umgesetzt wird, sinnvolles und eigenverantwortliches Handeln zumindest erheblich erschwert.
Der ganze „Murks“ rund um das Thema Scheinselbständigkeit ließe sich einfach vermeiden, wenn Soloselbständige einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und eine insolvenzfeste Altersversorgung, z.B. bei der DRV, in Versorgungswerken oder in unverfallbaren und unwiderruflichen privaten Altersversorgungen, nachweisen müssten. Hierdurch kann zum einen die Solidar- und Versichertengemeinschaft vor Belastungen durch Soloselbständige geschützt werden, falls diese im Versorgungsfall keine ausreichende Kranken- und Altersvorsorge getroffen haben. Zum anderen wird hierdurch für eine ausreichende Absicherung und Vergütung der Soloselbständigen gesorgt, wenn diese Mindestbeiträge abführen müssen, die sie entsprechend in ihre Honorarforderungen einkalkulieren müssen.
Jedenfalls kann durch ein solches Verfahren die Privatautonomie und Vertragsfreiheit, also ein selbst bestimmtes Leben auch als Pflegekraft, gewahrt bleiben, die nicht gegen ihren Willen in feste Arbeitsverhältnisse oder sogar aus dem Beruf gedrängt wird.